Dienstag, 15. Juni 2010

Den Verfolgten eine Stimme geben

Den Verfolgten eine Stimme geben

Von Maria Flachsbarth   
Unionsfraktion will verstärkt auf das Schicksal christlicher Minderheiten und Verstöße gegen die Religionsfreiheit aufmerksam machen – Ein Gastbeitrag
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Christen im Irak müssen um ihr Leben fürchten: Unser Archivbild zeigt Gläubige, die in Kirkuk ein Mordopfer zu Grabe tragen. Foto: dpa
Religionsfreiheit ist ein universales Menschenrecht. Sie umfasst sowohl das individuelle Recht, frei zu wählen, welcher oder auch keiner Religion man angehören möchte, als auch das kollektive Recht, sich mit anderen zusammenzuschließen, um den frei gewählten Glauben gemeinsam zu leben. Dazu gehört auch und ganz zentral das Recht, dem Glauben sichtbare Formen zu verleihen: sei es durch Kirchen, Synagogen oder Moscheen, in denen Gebete und Gottesdienste abgehalten werden, sei es durch das Tragen religiöser Symbole oder auch das Bekenntnis durch Worte oder Gesang. Auch das werbende Sprechen von der eigenen Glaubenswahrheit ist von der Religionsfreiheit umfasst. Ebenfalls umfasst die Religionsfreiheit das Recht jedes Einzelnen, seine Religionszugehörigkeit zu wechseln.
Zu Recht ist die Freiheit des Glaubens und des Bekenntnisses nicht nur in unserer Verfassung, in Artikel 4 des Grundgesetzes, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als unveräußerliches Grundrecht festgehalten.
Christen am meisten betroffen
Auch aus diesem Grund haben Union und FDP sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich dazu bekannt, dass wir uns weltweit gegen jegliche Benachteiligung aufgrund von Religion einsetzen werden. Es ist Teil unserer wertegeleiteten Außenpolitik, dass wir uns auf internationaler Ebene – sowohl bei der internationalen Staatengemeinschaft als auch im Gespräch mit Vertretern betroffener Staaten – kontinuierlich dafür einsetzen werden, dass allen religiösen Minderheiten der volle Schutzumfang gewährt und das Recht der Religionsfreiheit in all seinen oben angeführten Dimensionen gewährleistet wird. Ganz besonders haben wir dabei die christlichen Minderheiten im Blick – nicht, weil wir damit eine bestimmte Gruppe bevorzugen wollen, sondern weil es zahlenmäßig die Christen sind, die weltweit am meisten unter Verfolgung und Benachteiligung zu leiden haben. Unsere Solidarität mit unseren Glaubensgeschwistern verlangt es dabei, dass wir immer wieder auf ihr Schicksal aufmerksam machen und Verstöße gegen die Religionsfreiheit in verschiedenen Staaten an die Öffentlichkeit bringen. Ich freue mich, dass unsere Fraktion dazu auch einen Arbeitskreis, den „Stephanuskreis“ eingerichtet hat, in dem sich Abgeordnete aus ganz verschiedenen Fachausschüssen während dieser Legislaturperiode mit der Religionsfreiheit, besonders mit der Situation christlicher Minderheiten in verschiedenen Ländern, so zum Beispiel Indien, befassen werden.
In der Realität wird das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit in vielen Staaten nämlich nicht geachtet, teilweise sogar gewalttätig verletzt. Dabei erfüllt uns nicht nur die Diskriminierung durch staatliche Gewalten mit Sorge, sondern auch die Situation jener religiösen Minderheiten, die vielfältig von ihrer Nachbarschaft, (häufig gewaltbereiten) nationalen Gruppierungen oder von anderen Angehörigen der Mehrheitsreligionen bedrängt werden. In vielen Staaten ist es Christen nicht gestattet, Kirchen zu bauen oder sie werden benachteiligt, wenn sie beispielsweise auf Arbeits- oder Wohnungssuche sind.
In manchen Fällen müssen Menschen, die sich zu ihrem Glauben bekennen, tätliche Angriffe, körperliche Gewalt oder gar die Bedrohung ihres Lebens hinnehmen. Das gilt besonders für Menschen, die zum Christentum konvertiert sind – in vielen Staaten steht auf den Glaubenswechsel eine drakonische Strafe, die in einzelnen Fällen bis zur Todesstrafe reicht. Die brutalen Angriffe werden in den meisten Fällen nicht von staatlicher Seite verübt, werden aber leider teilweise stillschweigend toleriert beziehungsweise sogar honoriert. Beispielsweise haben wir mit großer Sorge die Überfälle auf Christen in Malatya oder die Angriffe auf ägyptische Kopten zum Weihnachtfest zur Kenntnis nehmen müssen.
Die Bedrängung, der christliche Minderheiten sich gegenübersehen, hat ganz vielfältige Ausmaße und Gesichter. Dramatisches Beispiel eines Landes, in dem Christinnen und Christen tatsächlich um Leib und Leben fürchten, ist der Irak. Extremistische Gruppierungen betreiben hier eine regelrechte Jagd auf Christen, die durch Entführung, Drohungen, Zerstörung der Häuser und Mord aus ihrem Heimatland vertrieben werden. Ihr grausames Schicksal liegt uns ganz besonders am Herzen. Deshalb hat sich der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass verfolgte Iraker, gerade auch religiös Verfolgte, Aufnahme in der Europäischen Union finden. Es ist seinem Engagement zu verdanken, dass sich die EU im Herbst 2008 bereit erklärt hat, 10 000 verfolgten Irakern Aufnahme zu gewähren. In Deutschland selbst sind 2 500 Menschen aus dem Irak aufgenommen worden, die zunächst in ihre Nachbarländer Syrien und Jordanien geflüchtet waren.
Ausschreitungen und Massaker
Da sich die Lage in ihrem Heimatland nicht gebessert hat, also ihre Sicherheit im Irak nach wie vor nicht garantiert ist, wie die jüngsten blutigen Übergriffe, bei denen im Vorfeld der irakischen Parlamentswahlen erneut Christen gezielt getötet worden sind und der weitere Mord an einem Christen in diesen Tagen traurig belegen, dürfen wir diese Region nach wie vor nicht aus dem Blick geraten lassen!
Gewalt ist auch traurige Realität für die Angehörigen der christlichen Religion in Indien. Nachdem es 2002 ein blutiges Massaker gegen Muslime in Gujarat gegeben hatte, kam es 2007 und 2008 zu gewalttätigen Ausschreitungen der Hindunationalisten gegen Christen im Bundesstaat Orissa und in Gujarat, von deren Folgen sich die christliche Minderheit im Staat nicht erholt hat: Noch immer werden Christen vor die Wahl gestellt, entweder zum Hinduismus zu konvertieren oder nicht in ihre Dörfer zurückkehren zu dürfen. Noch immer leben Tausende von Christen in notdürftigen Flüchtlingsunterkünften in erbärmlichem Zustand. Da die meisten Christen der untersten Klasse der Daliths angehören, geht die religiöse oft mit der sozialen Benachteiligung Hand in Hand.
Mit einem solchen Leben in täglicher Angst vor Gewalt ist das Leben der nicht-muslimischen Minderheiten in der Türkei natürlich nicht vergleichbar; die Rede von Christenverfolgung wäre hier deshalb nicht angemessen. Politiker unserer Fraktion haben sich in der letzten Woche in verschiedenen Delegationen über die Lage der Christen vor Ort informiert und durch ihren Besuch auch ihre Solidarität mit den nicht-muslimischen Minderheiten unterstrichen. Mir wurde dabei in Gesprächen versichert, dass es in jüngster Zeit keine tätlichen Übergriffe auf Christen gegeben habe. Das Zusammenleben der Religionen gestaltet sich in der Regel in der Türkei friedlich. Trotzdem ist die Religionsfreiheit für nicht-muslimische Minderheiten nicht in vollem Umfang gewährleistet – es sind subtilere Formen von Verletzung der Religionsfreiheit, denen sich Christen in der Türkei gegenübersehen. So stehen die nicht-muslimischen Minderheiten vor dem Problem der fehlenden rechtlichen Anerkennung. Minderheitsrechte sind nur explizit für jene Gruppierungen anerkannt, die 1923 nach der Sichtweise der Türkei vom Vertrag von Lausanne erfasst wurden. Das sind neben Griechen, Armeniern und Juden die Bulgaren. Im alltäglichen Leben stehen aber auch diese Gruppen vor Schwierigkeiten, wenn es beispielsweise darum geht, dass ihr Eigentum an Liegenschaften anerkannt wird oder wenn sie eine neue Kirche errichten möchten. Ein besonderes Problem stellt die Ausbildung von geistlichem Nachwuchs dar: Sowohl das armenische Patriarchat als auch das griechisch-orthodoxe Patriarchat wissen nicht, wie sie ihren Nachwuchs an Priestern sicherstellen können, da die türkische Regierung die Ausbildungsstätten beider Religionsgemeinschaften in den 70er Jahren hat schließen lassen.
In Nahost nicht tatenlos zusehen
Ebenfalls ist nach wie vor das Schicksal des Klosters Mor Gabriel im Tur Abdin ungewiss: dem Zentrum der syrisch-orthodoxen Kirche in der Türkei droht durch verschiedene Klagen der Existenzverlust. Wenn entschieden würde, dass ein großer Teil des seit Jahrhunderten bewirtschafteten Geländes des Klosters, das nun als Wald deklariert wird, dem Kloster abgesprochen wird, kann das Kloster nicht weiter überleben. Das wäre ein herber Schlag für die wenigen syrisch-orthodoxen Christen, die in der Türkei überhaupt noch verblieben oder in ihre ursprünglichen Dörfer im Südosten der Türkei zurückgekehrt sind. Den Prozessverlauf werden wir daher gemeinsam mit unseren Partnern der Europäischen Union weiterhin aufmerksam verfolgen.
Mit Nachdruck werden wir unaufhörlich daran erinnern, dass das Bekenntnis des eigenen Glaubens – auch im Zusammenschluss mit anderen – als ein zentrales Element der humanen Entfaltung allen Menschen, unabhängig von ihrer jeweiligen Religion, ihrer Herkunft und ihrem Lebensmittelpunkt ermöglicht werden muss. Es ist unabdingbar wichtig, dass sowohl die Politik, als auch die Zivilgesellschaften und nicht zuletzt die Kirchen weiterhin ihren Einsatz dafür leisten, dass die Schicksale derer, die um ihres Glaubens willen benachteiligt werden, die Öffentlichkeit und Solidarität bekommen, die sie verdienen. Einen wichtigen Beitrag dazu erhoffe ich mir von der Synode, die Papst Benedikt XVI. zur Situation der Christen im Nahen Osten für Oktober einberufen hat. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie das Christentum im Nahen Osten, an der Wiege der Christenheit, zunehmend erodiert, zumal es in Geschichte, Gegenwart und Zukunft wesentlich gestaltendes Element der kulturellen Identität der gesamten Region ist!
Die Tagespost