16.06.2012, 16:26
Von
Monika Maier-Albang
Lange war es den
Türken zu gefährlich, den Osten des Landes zu besuchen. Jetzt entdecken
sie das Kurdengebiet - und das Christentum im Tur Abdin gleich mit.
Mehr als 1000 Mönche lebten einst in Mor Gabriel, einem
der ältesten Klöster der Welt. Heute sind es noch drei, plus Bischof.
(© AFP)
Tatsächlich gibt es Gäste, die genau das hier
suchen: Glück für ihr Leben, Glück als Paar. Dafür fahren sie tief in
den Osten der Türkei,
in das Kloster, das nach einem Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche
benannt ist: Mor Gabriel, Heiliger Gabriel. Das Kloster, gegründet im
Jahr 397, ist eines der ältesten christlichen Klöster weltweit und das
Zentrum der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien. Der Metropolit der
Region, die Tur Abdin genannt wird, Berg der Gottesknechte, hat hier
seinen Sitz. Nur Volk hat Bischof Timotheos Samuel Aktas kaum noch.Wie die Armenier, so fielen auch die syrischen Christen in der Türkei dem Völkermord von 1915 zu Hunderttausenden zum Opfer. Später, in den 1960er und 1970er Jahren, suchten viele Arbeit im sicheren Westen Europas. So leben heute nur noch rund 2500 Christen im Tur Abdin.
Beten für das ersehnte Kind
Doch im Sommer, wenn in Deutschland, in Schweden, in der Schweiz die Ferien beginnen, kommen die Exil-Syrer in die Heimat. Die älteren aus Heimweh, die Jungen allerdings treibt oft ein anderer Schmerz nach Mor Gabriel: ein unerfüllter Kinderwunsch. Eine Schwedin sitzt deshalb mit auf der blau-weiß gestreiften Matratze. Nach qualvollen, erfolglosen Hormonbehandlungen betet sie jetzt mit den Nonnen, die manchmal auch Seelsorgerinnen sein dürfen, wenn sie nicht gerade waschen, bügeln, sich um Tiere und Garten kümmern oder die Mönche bekochen. Die Nonnen gießen der Schwedin geweihtes Wasser aus dem klostereigenen Brunnen über den Kopf, bis es in den Nacken tropft. Manche Frauen verbringen auch eine Nacht auf dem Kirchenboden - im Vertrauen auf den Heiligen. Wenn es dann klappt, heißen die Kinder nach ihm: Gabriel oder Gabriela.
Mor Gabriel, das ist eine Trutzburg aus weißgelbem Kalkstein inmitten karger Berge, die jetzt, nach einem heftigen Gewitter, von einem Hauch Grün überzogen sind. Der Weg zum Kloster führt vorbei an knochigen Pferden und Nomaden. Auf den Feldern reifen Baumwolle und Getreide; bestellt werden sie oft noch von Hand, mit Pferd oder Esel vor dem Pflug. Weil die Gegend so archaisch ist, drehen Filmemacher aus Istanbul hier gern Herz-Schmerz-Seifenopern. So kannten die Türken das Gebiet bislang: aus dem Fernsehen, wild und klischeebeladen. Und nun entdecken sie den Tur Abdin live.
Vor ein paar Jahren noch wäre kaum ein Türke auf die Idee gekommen, Urlaub zu machen im Osten, damals PKK-Land. Doch die Checkpoints sind verschwunden, die Region boomt. Die Vorstädte bekommen neue Hochhäuser und schmucke Moscheen. Und Luxushotels. In Mardin, der Provinzhauptstadt am Berg mit ihren engen Basargassen, haben gerade zwei eröffnet. Und die Stadt macht sich fein für die Unesco. Weltkulturerbe möchte Mardin werden. Mit seinen alten Steinhäusern, die mithilfe von Fördermitteln der EU bald von den Betonaufbauten aus den 1970er Jahren befreit sein sollen. Mit der Zitadelle auf dem Bergrücken, aus der das Militär laut eigenem Versprechen abziehen will. Mit dem Blick hinab auf die fruchtbare mesopotamische Tiefebene. Mit dem Emir-Hamam aus dem 13. Jahrhundert, in dem eine Dame im Format einer Sumo-Ringerin die Frauen durchknetet.
Wiederentdeckung des Christentums
Die noblen Hotels: Sie sind schon jetzt ausgebucht. Ein Kongress hier, eine Reisegruppe dort. Im Hilton, dessen Zufahrtsstraße breiter ist als alle anderen Straßen der Stadt, stehen ein paar Japaner am Buffet. Vor allem aber kommen Türken, die den lange vernachlässigten Osten ihres Landes erkunden. Und die dabei einen fast verloren gegangenen Teil ihrer Kultur wiederfinden: das Christentum.
Finanziell profitiert das Kloster nicht vom Besuch der Touristen - in anderer Hinsicht schon.
(© Getty Images)
Auf dem Parkplatz vor Deir Az-Zafaran, dem Safrankloster, stehen drei Busse. Ein paar Kilometer nur sind es von Mardin bis hierher. Das Kloster, dessen Mauern im Abendlicht verwunschen gelb-rot leuchten, gehört - neben der Altstadt von Midyat und der Nekropole von Dara, dem spätantiken Anastasiupolis, mit ihren gewaltigen Zisternen - zum Standard-Besichtigungsprogramm in der Region, die die Gruppen auf ihrem Weg vom Nemrud Dag zum Van-See besuchen.
An drei Tischen im Kloster-Café sitzen Istanbuler Mitglieder des Lions-Clubs, der seine Vorstandswahl hierher verlegt hat. "Diese Felder, diese Ursprünglichkeit", schwärmen die Frauen, "diese schönen Kirchen!" Oben am Hang, im Kloster, in dessen Katakomben in vorchristlicher Zeit der Sonnengott Shamash verehrt worden sein soll, fotografieren sich die Muslime. Arm in Arm vor dem Altar, zwei Männer kniend, in Pseudo-Gebetshaltung. Fremdelnd mit der fremden Religion.
"Bei uns könnte man auf der Toilette essen"
Mit 100.000 Tagesgästen rechnen sie in Mor Gabriel in diesem Jahr. Das sind zehnmal so viele wie vor zehn Jahren; und die Zahl steige kontinuierlich, sagt Isa Dogdu, der Sekretär des Bischofs. Manche Muslime kämen mit Vorurteilen, erzählt er. Etwa, dass es dreckig sei bei den Christen. "Dabei könnte man bei uns auf der Toilette essen."
Sie haben ja alles renoviert, die Mauern, die Gästezimmer, die Pilgern vorbehalten sind, alles mithilfe der Spenden der Diaspora-Syrer. Finanziell nämlich profitieren sie im Kloster von den Touristen nicht. Die Führungen sind kostenlos, selten gibt es ein Trinkgeld für die Studenten, die durchs Kloster geleiten. Lohnend seien die Führungen trotzdem, sagt Dogdu. Die Muslime sollen verstehen, was die Christen glauben. Und wie sie leben in diesem, ihrem gemeinsamen Land.
Manchmal, erzählt Dogdu, kämen Gäste, die ihm sagen, dass sie "einfach sehen wollen, wie Christen aussehen". "Na, wie ihr", antwortet Dogdu dann. Gelegentlich wollen Besucher auch missionieren. "Die fragen dann, warum wir im Dunkeln bleiben, nicht das Licht des Propheten suchen." Die meisten Gäste aber, sagt Dogdu, seien einfach neugierig. Ab und an erkundigt sich sogar jemand, wie es um das Kloster bestellt ist. Bei der Antwort auf diese Frage wägen die Studenten ihre Worte allerdings sorgsam ab.
Bedrohtes Idyll
Denn das Kloster mit seinen Gemüsegärten, dem Hühnerstall, den Kühen, den Oliven-, Mandel- und Aprikosenbäumen inmitten der felsigen Einöde ist eine bedrohte Idylle. Zwei Nachbardörfer machen Mor Gabriel Land streitig, zwei staatliche Behörden - das Forstministerium und das Schatzamt - wollen ebenfalls Grund vom Kloster. Gegen den Vorsitzenden der Klosterstiftung ist ein Verfahren anhängig, weil die Mauer, die das Kloster Mitte der 1990er Jahre um sein Gelände herum hochgezogen hat, angeblich illegal ist. Alles Schikane, politisch motiviert - so denken sie im Kloster darüber. Und auch die Auslands-Syrer verfolgen den Konflikt aufmerksam. "Mor Gabriel ist für uns der Seismograf, wie es um die Rechte der Minderheiten in der Türkei bestellt ist", sagt die Münchnerin Janet Abraham von der Solidaritätsgruppe Tur Abdin.Der Streit mit dem Forstministerium beschäftigt mittlerweile den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das Kloster will schließlich nicht als Museum enden, als Hagia Sophia des Tur Abdin. Und es gibt nicht nur den juristischen Überlebenskampf. Es gibt auch einen biologischen.
Drei Mönche plus Bischof sind sie noch, alle betagt. Ihre Hoffnung, das sind die Schüler, 40 momentan. Sie feiern die Liturgie mit, sie leben im Kloster, gehen in der Stadt zur Schule. Sie zu Priestern auszubilden, ist in der Türkei nach wie vor verboten. Und doch gibt es Zeichen des Wandels, etwa, dass an der neuen Universität in Mardin von Herbst an ein Studiengang angeboten wird, in dem die Geschichte der Syrer, ihre Sprache, ihre Literatur gelehrt werden. "Die Situation ist besser als vor zehn Jahren", sagt der Erzbischof des benachbarten Safran-Klosters, Philoxenos Saliba Özmen. Aber gut ist sie eben noch immer nicht.
Zwar gibt es die, die zurückkehren in den Tur Abdin. Aber sie sind wenige, und oft sind es die Alten. Für die Jungen gibt es hier kaum Arbeit. Dafür jede Menge Aussicht auf Streit. Denn in die verlassenen Häuser der Christen sind nicht selten deren kurdische Nachbarn eingezogen. Oft müssen die Gerichte entscheiden, sofern die Rückkehrer klagen. Manche verzichten darauf, teilen das Haus lieber mit den Kurden, ihren Kühen und Hühnern, als sich im Alter einer juristischen Auseinandersetzung zu stellen.
Andere Rückkehrer bleiben unter ihresgleichen. Wie Yahko und Atiye Demir aus dem Dorf Kafro, das eine halbe Stunde Autofahrt von Midyat, der Stadt der Silberschmiede, entfernt liegt. 1977 sind sie ausgewandert, haben vier Söhne in der Schweiz großgezogen. Die sind dort geblieben, als die Eltern zurückkehrten in das Dorf, in dem nur Christen leben. Die Kurden aus der Nachbarschaft nennen die genormten Häuser, die die Rückkehrer sich in Kafro errichtet haben, Villen. 2000 Quadratmeter Grund hat jedes der Häuser. Und einen gewaltigen Zaun drumherum. Die neuen Gebäude sind dreimal so groß wie die alten, leer stehenden im Dorf, das jetzt ein Internetcafé hat, eine Cafeteria und einen Gemeinschaftssaal gegen die Langeweile.
Misstrauen gegenüber dem Staat ist geblieben
Die Neiddebatte, die immer wieder auch in den türkischen Medien anklingt, ärgert Yahko Demir. "Ich war früher schon nicht arm", sagt er. Und schließlich habe er seine Heimat ja nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, sondern weil der Staat ihm keinen Schutz bot, als Hirten aus anderen Dörfern ihr Vieh in seinen Weinberg trieben. "Wer damals aufgemuckt hat, wurde erschossen." Angst vor den Nachbarn habe er heute nicht mehr, sagt Yahko Demir. Aber das Misstrauen dem Staat gegenüber ist geblieben. Sobald sich die Türkei "keine Hoffnungen mehr auf einen EU-Beitritt macht", fürchtet er, "lassen sie uns Christen wieder fallen."
Ja, leicht ist das Zusammenleben nicht", sagt Philoxenos Saliba Özmen. Dann hat der Bischof des Safran-Klosters den nächsten Termin. Vor seinem Büro wartet eine Reisegruppe aus Ankara. Die Männer und Frauen nehmen Platz in den schweren Holzstühlen, bekommen Tee und einen Spritzer Wohlgeruch in die Hand. Man redet höflich miteinander. Am Ende bitten die Gäste den Bischof, sie nach draußen zu begleiten, für ein Foto. Bunte Sommerkleider und der Mann in Schwarz, das macht sich gut im Album.
sueddeutsche.de
(Anm.: der Volksname wurde korrigiert, SOL)
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