Die Räuber und ihr »Wald«
Preussische Allgemeine zeitung, 06.08.12
Mor Gabriel, das älteste noch existierende
Kloster der Christenheit, hat vor dem Berufungsgericht in Ankara den
Prozess um sein Land in der Türkei verloren. Trotz der unfairen
Behandlung überlegt die syrisch-orthodoxe Kirche ihren Hauptsitz von
Syrien in die Türkei zu verlegen.
Mor Gabriel wurde im vierten Jahrhundert
gegründet. Es ist viele Jahrhunderte älter als alle Klöster Europas,
selbst die Klosterrepublik der orthodoxen Kirche auf dem Berg Athos in
Griechenland wurde erst 500 Jahre später gegründet. Das Kloster Mor
Gabriel ist das geistliche Zentrum der syrisch-orthodoxen Christen in
der Türkei, eine christliche Religionsgemeinschaft, die einst ihr
Weltzentrum und den Sitz ihres Patriarchats im Südosten der Türkei
hatte, allerdings von der laizistischen Türkei nach dem Vertrag von
Lausanne von 1923 nicht als offizielle Religionsgemeinschaft des Landes
anerkannt wurde.
Das Berufungsgericht in Ankara hat kürzlich das Urteil des Obersten Gerichts bestätigt, wonach das umstrittene Land dem türkischen Staat gehört. Bei dem Streit geht es um fast 28 Hektar Land. Das türkische Forstministerium hatte dieses gemäß einem Gesetz aus dem Jahre 1950 als Wald definiert, auch wenn es darauf nur Sträucher gibt. Wald darf in der Türkei nicht im Besitz von Privatpersonen oder religiösen Stiftungen sein.
Da die christlichen Religionsgemeinschaften nicht als Rechtspersönlichkeiten anerkannt werden, muss kirchlicher Besitz bei religiösen Stiftungen registriert sein. In erster Instanz hatte ein Gericht zugunsten Mor Gabriels entschieden. Das Kloster hatte seine Ansprüche auf das Land nachweisen können, da es seit den 30er Jahren Steuern darauf zahlt. Das Berufungsgericht berücksichtigte die Steuerbelege im Revisionsprozess allerdings nicht, da sie aus den Akten verschwunden waren. Das Kloster prüft nun, ob es das Urteil vor dem türkischen Verfassungsgericht anfechten soll. Der Vorsitzende der Klosterstiftung, Kuryakos Ergün, schließt nicht aus, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
Hintergrund des Konfliktes ist die Einführung von Land-Katastern, die von der Europäischen Union als Bringschuld für einen eventuellen Beitritt der Türkei angesehen wird. Bereits 2005 war es im Vorfeld von Landvermessungen zu ersten Landbesetzungen in der Nähe des Klosters gekommen, die jedoch von der türkischen Regierung gestoppt wurden. Sowohl der türkische Staat als auch drei kurdische Dörfer fordern Land, das Kloster Mor Gabriel aber auch für sich beansprucht.
Metropolit Timotheos Samuel Aktas, der viele Jahre auch Abt war und seinen Sitz im Kloster hat, hat dieses Kloster wieder neu zum geistlichen Zentrum der syrischen Christen ausgebaut. Er hat nach europäischem Modell auch Sozialeinrichtungen für die letzten noch etwa 3000 aramäischen Christen in der Südosttürkei eingeführt. Heute leben und arbeiten im Kloster etwa 75 Personen – Mönche und Nonnen – in zwei getrennten Bereichen, und Lehrer mit ihren Familien für die etwa 30 Internats-Schüler, von denen die meisten aus westeuropäischen Staaten kommen, weil in den 1980er und 1990er Jahren die meisten syrischen Christen nach Westeuropa geflüchtet sind. Jährlich besuchen nach Auskunft des Klosters etwa 30000 ehemalige aramäische Dorfbewohner, die nach Westeuropa geflüchtet sind, das Kloster, das somit zu einem bedeutenden touristischen Zentrum der Region geworden ist. In der Klosterschule wird das Aramäische, die Liturgie und Literatur der syrischen Christen gelehrt. Das Aramäische war auch die Muttersprache von Jesus.
Die aramäischen Christen haben ihre Urheimat, die sie schon lange vor der Ankunft der Türken und Kurden bewohnt hatten, verlassen, weil sie zwischen die Fronten der Konfliktparteien im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg geraten waren, der die Südosttürkei seit 1980 heimsucht. Damals haben zahlreiche christlichen Bewohnern auch die Nachbardörfer des Klosters verlassen. Bis dahin war der Tur Abdin das letzte mehrheitlich christliche Gebiet der Türkei. Obwohl mit der Perspektive eines möglichen EU-Beitritts der Türkei einige nach Westeuropa geflüchtete Christen wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt sind, herrscht weiterhin ein Klima von Angst und Einschüchterung in der Gegend um das Kloster.
„Das Urteil des Kassationsgerichts gefährdet nicht nur das Kloster Mor Gabriel, sondern zugleich auch die Religion und Kultur der gesamten syrisch-orthodoxen Minderheit in der Türkei“, erklärte Erika Steinbach, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie hat nach dem Urteil eine Unterschriftenaktion im Internet für das Kloster Mor Gabriel und gegen das Enteignungsurteil angeregt. Der Deutsche Bundestag hatte bereits im Juni auf Vorschlag der Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP beschlossen, die Existenz des Klosters Mor Gabriel zu schützen.
Zur syrisch-orthodoxen Kirche, die heute vom Patriarchen Mar Ignatius Zakay I. in Damaskus geleitet wird, gehören heute etwa drei Millionen Gläubige, die Mehrheit davon lebt in Indien und Europa. Seit einigen Monaten verhandeln die beiden syrischen Patriarchate mit der türkischen Regierung, ihre Sitze infolge der Syrienkrise wieder in die Türkei zurückzuverlegen. Bodo Bost
preussische-allgemeine.de
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