Donnerstag, 3. Januar 2013

Christenverfolgung - Die letzten Jünger

Gläubige werden verfolgt, Kirchen zerstört: Ist im Nahen Osten nach den arabischen Revolutionen noch Platz für die christliche Minderheit? Eine Reise zu Gläubigen in Ägypten, der Türkei und Palästina.

 In der Einsamkeit: Mönch vor dem Aufgang zum Kloster Mor Augin in der Türkei
In der Einsamkeit: Mönch vor dem Aufgang zum Kloster Mor Augin in der Türkei

Türkei
Als die Muslime aus der Nachbarschaft plötzlich behaupteten, auf dem Gelände des Klosters Mor Abraham habe früher eine Moschee gestanden, wurde Jakop Gabriel klar, dass dies mehr war als das übliche Gezänk um Land und Weiderechte. »Die Behauptung war bizarr«, sagt Jakop. »Unser Kloster ist 200 Jahre älter als der ganze Islam. Die wahre Botschaft der Nachbarn ist: Ihr Christen gehört hier nicht hierher, und wir geben keine Ruhe, bis ihr verschwunden seid.«

Der Streit liegt vier Jahre zurück, Jakop Gabriel ist immer noch da. Er hat sogar neue Pläne. Der Mittfünfziger ist Geschäftsmann und verfolgt eine Mission. Vor 30 Jahren ist er in die Schweiz gezogen, weil die Lage in seiner Heimat unerträglich wurde. Die türkische Armee bekämpfte damals kurdische Rebellen, und die Christen gerieten zwischen die Fronten. So wie Gabriel wanderten viele türkische Christen aus; durch diesen Exodus entstanden neue Gemeinden in Deutschland, Schweden, den Niederlanden und der Schweiz. Jakop kam als Goldschmied zu Wohlstand. Er versprach seiner Frau, mit 40 Jahren nach Midyat heimzukehren, und er hat sein Versprechen gehalten. Jakop Gabriel – türkischer Bürger, aramäischer Christ und irgendwie auch Schweizer – ist jetzt wieder zu Hause in der kurdischen Kleinstadt Midyat im äußersten Südosten der Türkei, zwischen dem Tigris und der syrischen Grenze. Und er gibt nicht nach.
Nicht weit entfernt liegt der Tur Abdin, der »Berg der Gottesknechte« – so heißt auch die ganze Landschaft in der Sprache der syrisch-orthodoxen Christen. Sie nennen sich selber Aramäer. In ihren Gottesdiensten erklingt noch eine Variante des biblischen Aramäisch, der Sprache Jesu. Im Alltag spricht man Toroyo, einen aramäischen Dialekt, der mit dem Hebräischen verwandt ist.

Weil die Aramäer nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt sind, dürfen sie ihre Sprache nicht unterrichten. Sie tun es in den Sonntagsschulen trotzdem. Auch ihre Kirchen – einige davon gehören zu den ältesten des Christentums – dürfen sie nicht reparieren. Kaum mehr als 2.000 Aramäer sind in der Türkei noch übrig. Wie groß die Diaspora in Europa ist, kann niemand sagen. Die größte deutsche Gemeinde in Gütersloh hat 13.000 Mitglieder.
Jakop hofft jetzt, dass alle Aramäer aus Deutschland recht bald anreisen, denn er hat ein Hotel. Es heißt wie die Gegend, »Tur Abdin«, Jakop hat es vor ein paar Monaten gleich neben dem alten Kloster Mor Abraham eröffnet. Das Haus aus kunstvoll behauenem Sandstein ist Jakops Manifest. Jeder Raum trägt den Namen eines Dorfes, aus dem die Christen 1915, im »Jahr des Schwertes«, vertrieben wurden: Aynwardo, Kafro, Hah, Sare, Bekusyone. Heute kehren ihre Nachkommen zurück – als Heimwehtouristen. Sie wohnen in Jakops Hotel. Und manche bleiben für immer.
Das ist Jakops Mission: Die Aramäer sollen heimkommen in den Tur Abdin. Das Hotel ist der Brückenkopf seiner Operation: »Die Türken haben uns vertrieben, damit wir versprengt sind. Aber wir haben uns in Europa erst wirklich gefunden. Jetzt kehren wir zurück, damit auf dem Berg der Gottesknechte die Glocken wieder läuten.« Früher gab es im Kloster Mor Gabriel (»Heiliger Gabriel«) Hunderte Mönche, jetzt sind es nur noch drei, plus 14 Nonnen. Aramäer aus der ganzen Welt pilgern hierher. Es ist ihr »zweites Jerusalem«.
Im Juli 2012 entschied das Berufungsgericht in Ankara, dass ein großer Teil der Ländereien des Klosters an den türkischen Staat fallen solle. Schon 2008 hatten die umliegenden Dörfer und staatliche Behörden angefangen, gegen das Kloster zu prozessieren. Drei muslimische Nachbargemeinden begehren Teile des Geländes als Weidegrund für ihre Herden. In den ersten Instanzen gewannen die Mönche und Nonnen. Bis das Gerücht aufkam, das Kloster stehe auf den Fundamenten einer alten Moschee und Jugendliche würden dort »missioniert«. Beide Vorwürfe sind abwegig. Die Klage wurde vom örtlichen Amtsgericht deshalb auch abgewiesen. Da plötzlich schalteten sich das Finanzamt und das Forstamt ein. Die umkämpften Teile des Klosterbesitzes wurden kurzerhand zum »Wald« erklärt – sie werden damit nach türkischem Recht automatisch Eigentum des Staates. Dass der »Wald« aus Sträuchern, Weinreben und von den Nonnen angepflanzten Olivenbäumen besteht, kümmerte das Gericht in Ankara nicht. Das Kloster hat inzwischen in der Türkei alle Rechtsmittel ausgeschöpft, es hofft jetzt auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Jakop Gabriel sitzt auf der Terrasse seines Hotels und fährt mit dem Finger auf der Karte des Tur Abdin hin und her: »Schauen Sie, wie Mor Gabriel hier alles zusammenhält. Das ganze Netz unserer alten Dörfer ist auf das Kloster ausgerichtet. Fällt das Kloster, verlieren die Christen ihren Halt.« Die Prozesse gegen Mor Gabriel sind in seinen Augen nichts als die »Vollendung des Genozids mit anderen Mitteln«. Das Jahr 1915 – das »Jahr des Schwertes« – ist bei den Christen bis heute unvergessen. Die Osmanen vertrieben und ermordeten einen Teil der armenischen Minderheit, darunter auch eine halbe Million syrisch-orthodoxer Christen. Für die Enkel und Urenkel ist die Vergangenheit bis heute nicht vergangen.

Auch Jakop Gabriel kann sich aus der Erinnerung an alte Gräuel nicht befreien. Die Gefährdung des Klosters füttert die alten Ängste: »Schauen Sie sich unsere Dörfer an: In Hasankeyf gab es keine Überlebenden. In Aynwardo sind die Menschen in ihrer eigenen Kirche ausgehungert worden. In Zaz wurden alle massakriert. In Kerburan haben sie die Babys von den Dächern geworfen. Das sind die Geschichten, mit denen wir hier aufgewachsen sind. Die ganze Gegend hier ist ein Killing Field.«

Zurzeit beherbergt das Kloster Mor Abraham wieder verfolgte Christen: Seit drei Monaten hat hier eine vierköpfige Familie Zuflucht gefunden. Sie ist aus Kamischli geflohen, das nur 30 Kilometer entfernt in Syrien liegt. Der Vater, ein Mann Mitte fünfzig, fürchtet Repressalien durch das Assad-Regime und gleichzeitig den Hass islamistischer Befreiungskämpfer, die gegen Christen als Ungläubige und Kollaborateure hetzen. »Sie sagen, wir waren Nutznießer des Regimes. Die Wahrheit ist: Wir stören sie, weil wir der totalen Islamisierung des Landes im Weg stehen. Ich fürchte, es droht ein Exodus der Christen aus Syrien wie aus dem Irak.« Der Mann war Rechtsanwalt in Syrien, seine Frau war Lehrerin. Die beiden Töchter sind im Teenageralter.
Die Wohnung in Kamischli hat der Familienvater abgeschlossen, den gesamten Familienbesitz zurückgelassen. Ein Cousin soll aufpassen. Aber der ist auch Christ und wird wohl nicht mehr lange bleiben. Dann ist alles verloren, und für die Familie gibt es kein Zurück.

Also werden sie weiterziehen, falls sie für irgendein Land ein Visum bekommen. Sie werden zu den Millionen orientalischer Christen stoßen, die bereits im Westen sind. Jakop Gabriel dagegen wird am Fuße des Gottesberges die Stellung halten: Ein zweites Mal wird er nicht weichen.

Zum ausführlichen Artikel auch über die Kopten und christlichen Palästinenser in
ZEIT-ONLINE von 25.12.2012

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