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Freitag, 25. März 2011
Neue Hoffnung für Hasankeyf am Tigris - Aramäisches Kulturerbe könnte gerettet werden
Hasankeyf ist eine antike türkische Stadtfestung am Tigris. (Bild: AP Archiv)
Radio: David gegen Goliath
Von Susanne Güsten
Seit Jahren setzen sich türkische und internationale Kulturfreunde vergeblich für die Rettung der uralten Stadt Hasankeyf am Tigris ein, die beim Bau des Ilisu-Staudamms geflutet werden soll. Aus Protest gegen die drohende Flutung hatten Deutschland, die Schweiz und Österreich vor zwei Jahren die Kreditgarantien zurückgezogen, mit denen sie den Damm unterstützten.
Doch die Türkei begann auch ohne Kredite mit den Bauarbeiten, Hasankeyf schien schon dem Untergang geweiht. Nun kommt plötzlich neue Hoffnung aus einer unerwarteten Ecke. Mehr als ein Jahrzehnt hat ein einzelner Bürger sich vor den Gerichten gegen den Staudamm gestemmt, jetzt hat die Justiz ihn endlich erhört und Gutachter nach Hasankeyf geschickt.
Ein steiler und mühsamer Aufstieg ist es auf die Kalksteinklippen von Hasankeyf über dem Tigris, doch die Aussicht ist es wert. Ein Dutzend Zivilisationen haben sich hier verewigt, der Blick schweift über Basiliken und Brücken, über Moscheen und Medresen und Monumente aus mehreren Jahrtausenden. Dieser Ort ist einmalig in der Welt, sagt Murat Cano:
"In Hasankeyf haben wir Byzanz, wir haben Rom, wir haben die Assyrer [Anm. SOL-Red.: im Original türk. Radio-Interview steht: „Süryani“ = Syrer = Aramäer, also keine Assyrer], die Araber, Seldschuken, Sassaniden, Osmanen - wir haben den Nachlass aller Zivilisationen, die hier im oberen Mesopotamien existiert haben. Eine Besonderheit ist, dass hier nicht die Schichten der verschiedenen Zeitalter ineinander verwischen, bis man eine Kultur nicht mehr von der anderen unterscheiden kann, wie das anderswo oft ist. In Hasankeyf haben sich die Bauten der verschiedenen Zivilisationen ihre Integrität und Eigenart bewahrt. Und alle zusammen bilden sie in ihrer Landschaft ein einzigartiges Ensemble."
Es wäre ein Verbrechen, einen solchen Ort zu zerstören, findet Cano. Deshalb hat er gegen die türkische Regierung geklagt und von der Justiz gefordert, die Baugenehmigung für den Ilisu-Damm zu annullieren.
"Ich habe als Privatmann geklagt, als Bürger Cano. Diese Kulturerbe gehört nicht dir oder mir, es gehört uns allen, allen auf der Welt. Wir Türken haben zwar die Hoheit über dieses Land, so wie Deutschland über sein Gebiet und andere Länder über ihres, aber wir sind alle nur die Hüter dieses Erbes, Treuhänder und sonst nichts."
Cano, ein Menschenrechtsanwalt aus Istanbul, beruft sich auch auf die türkische Gesetzeslage. Von den annähernd 400 Kulturgütern in Hasankeyf, die er akribisch aufgelistet hat, stehen immerhin 38 schon seit Jahren unter türkischem Denkmalschutz, wie er in seiner Klage geltend macht. Doch bis er sich damit Gehör verschaffen konnte, hat es lange gedauert:
"Der Prozess dauert schon seit, Moment, ich sehe mal genau nach, seit dem 12. Januar 2000. Ewig ist er herumgeschoben worden von den Gerichten. Ich hatte ursprünglich in Ankara geklagt, aber das Gericht dort erklärte sich für unzuständig und verwies den Fall nach Diyarbakir. Das dortige Gericht erklärte sich ebenfalls für unzuständig, und so ging der Fall an ein übergeordnetes Gericht, das über die Zuständigkeit entscheiden musste.
Das Gericht verwies den Fall nach Diyarbakir zurück, und so vergingen schon einmal zwei Jahre. Dann entschied das Gericht in Diyarbakir, dass ich überhaupt keine Klagerecht hätte. Ich legte Berufung ein und bekam recht, und so wurde der Prozess schließlich eröffnet. Dann verlangte das Baukonsortium, dem Prozess beizutreten, und das verzögerte alles noch weiter.
Schließlich ordnete das Gericht ein Gutachten an, doch sie bestellten einen Professor für Landwirtschaft und einen Dozenten für osmanische Kunstgeschichte als Gutachter, da legte ich Einspruch ein, das hat wieder Jahre verschlungen. Nun endlich hat das Gericht neue Gutachter bestellt und die Untersuchung kann beginnen."
Zwei Archäologen von der Universität Istanbul und einen Wasserbauexperten von der TU Istanbul hat das Gericht diesmal ausgewählt, um Hasankeyf zu bewerten. Die Experten wurden in dieser Woche vor Ort in Hasankeyf vereidigt, unter freiem Himmel am Ufer des Tigris.
Anschließend brach das Gutachter-Team zu einer ersten Klettertour auf die Klippen auf, um sich einen Überblick zu verschaffen. Begleitet wurden sie dabei von den Prozessparteien.
Ein langer Tross von Männern in Anzügen quälte sich da den steinigen Palasthügel hinauf: die Vertreter von Ministerpräsidentenamt, Energieministerium, Kulturministerium, Wasserbauamt und Baukonsortium auf der einen Seite - und Murat Cano mit seinem roten Schal auf der anderen. Nach dem feierlichen Start sollen sich die Prozessparteien nun zurückziehen, damit die Gutachter ihre Arbeit in Ruhe verrichten können.
Mehrere Monate dürften diese Arbeiten dauern, herauskommen soll dabei ein Gutachten über den kulturellen und historischen Wert von Hasankeyf und über die von einer Flutung zu erwartenden Schäden. Murat Cano rechnet damit, dass das Urteil dann noch in diesem Jahr kommt. Nach all den Jahren ist er noch immer zuversichtlich, dass Hasankeyf zu retten ist:
"Schon möglich, dass es noch durch weitere Instanzen geht, aber so weit sind wir nun immerhin schon in der Türkei: Die Justiz, die Gerichte schalten sich endlich ein in den Schutz unseres kulturellen Erbes, es bleibt nicht mehr alles alleine der Regierung überlassen."
dradio.de / 24.03.2011 · 23:05 Uhr
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