Dienstag, 5. April 2011

Bibel von rechts nach links

Aramäisch schreibt man von rechts nach links. Rebekka (12) machts vor. Lehrer Ilyas Kizilirmak schaut zu.
(Foto: Steinbach)


Von Julia Steinbach

BORKEN. Von rechts nach links gleiten Adessas Finger über die Zeilen des Liedtextes, während die Viertklässlerin mit klarer Stimme singt. Die Laute klingen fremd, die Melodie erhaben. Adessa singt eine Hymne auf der Muttersprache Jesu Christi: Aramäisch. Als sie fertig ist, klatschen ihre Mitschüler und ihr Lehrer Ilyas Kizilirmak. „Gut gemacht“, lobt der Pauker. Es ist Samstag, 15 Uhr: Syrisch-orthodoxer Religionsunterricht in der Johann-Walling-Schule.

15 Kinder aus Borken, zwischen vier und 15 Jahre alt, kommen jede Woche, um an dem Unterricht teilzunehmen. Ihr Lehrer Ilyas Kizilirmak stammt aus der Türkei, ist in Stadtlohn aufgewachsen und hat in Warburg studiert. Dem 26-Jährigen ist wichtig, dass sein Unterricht als normales Unterrichtsfach angesehen wird: „Die Noten stehen auf dem Zeugnis und sind versetzungswirksam“, sagt er.

Die Sprache, auf der Kizilirmak seine Schülern lehrt, ist Deutsch. Die religiösen Texte, mit denen sie arbeiten, sind überwiegend auf Aramäisch. Aramäisch ist eine semitische Sprache, die mit dem Hebräischen verwandt ist und deren Schrift von rechts nach links führt. Jesus von Nazareth sprach aramäisch. Wer Kizilirmak und seinen Schülern lauscht, wie sie das „Vater Unser“ beten, weiß, wie Christus klang, als er dieselben Worte sprach.

Die Schüler kennen die Sprache von ihren Eltern, die allesamt aus Tur Abdin, einer Region im Südosten der Türkei stammen. Tur Abdin liegt im Zweistromland, der Wiege des syrisch-orthodoxen Christentums.

Der bekannteste aramäische Christ aus Borken ist CDU-Ratsmitglied Ibrahim Özdemir. Seine vier Söhne besuchen allesamt den Unterricht. Sogar bereits der vierjährige Lukas. „Er müsste nicht herkommen, aber er kommt, weil er das hier lernen will“, sagt Özdemir stolz. Der Obst- und Gemüsehändler ist froh, dass es den Unterricht gibt. „Dafür danken wir der Johann-Walling-Schule“, sagt er.

Mindestens zwölf Teilnehmer muss eine Stadt vorweisen, damit die Bezirksregierung zwei Stunden aramäische Religionslehre pro Woche bewilligt. In der Kreisstadt gibt es zehn Familien, die insgesamt 15 Schüler stellen. Weil die Kinder unterschiedlich alt sind und zu verschiedenen Schulen gehen, muss Ilyas Kizilirmak die Inhalte individuell abstimmen. „Das klappt nur mit einer zeitlichen Aufteilung“, sagt er. Während er mit den einen paukt, machen die anderen Stillarbeit.

Wer denkt, dass die aramäischen Schüler dem Religionsunterricht an ihren Schulen fern bleiben, irrt. „Ich spreche eine Empfehlung aus, dass sie dort ebenfalls teilnehmen“, sagt Ilyas Kizilirmak. Die syrisch-orthodoxen Christen legen Wert auf Ökumene.
ivz-online.de/ 5.4.2011

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