Die wenigen verbliebenen syrisch-orthodoxen Geistlichen und Gläubigen bemühen sich, das kirchliche Leben aufrecht zu erhalten und neue spirituelle Impulse zu setzen
"Kathpress"-Hintergrundbericht von Georg Pulling
Ankara, 08.06.2011 (KAP) Vier Bischöfe und einige Priester und Mönche für 13.000 Gläubige - von einem solchen Verhältnis von Geistlichen zu Gläubigen können viele Kirchen nur träumen. In der Türkei belegen diese Zahlen aber, dass die einst große und blühende syrisch-orthodoxe Kirche ums Überleben kämpft. Die in der Türkei verbliebenen Geistlichen und Gläubigen bemühen sich, das kirchliche Leben aufrecht zu erhalten und entsprechende Strukturen zu bewahren bzw. neu aufzubauen.
Am 3. Juli wird in der zentralanatolischen Stadt Adiyaman der neue Bischofssitz der gleichnamigen Diözese mit einem Festgottesdienst feierlich geweiht. Dazu wird eigens das Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche, Mar Ignatius Zakka I. Iwas, aus Syrien anreisen. Bischof der Diözese ist Mor Gregorios Malke Ürek.
Seit 2001 als Mönch und seit 2006 als Bischof bemüht sich Ürek um die Seelsorge in der Zentraltürkei und den Aufbau kirchlicher Strukturen. Von 1915 bis zur Weihe Üreks hatte die Diözese Adiyaman keinen Bischof. Das Diözesangebiet reicht von Zentralanatolien bis ans Mittelmeer bei Iskenderun und umfasst gerade einmal 150 christlich-syrische Familien. In Adiyaman selbst gebe es gerade einmal sieben Familien, räumt Bischof Ürek im "Kathpress"-Gespräch ein. Dementsprechend viel Zeit verbringt der Bischof im Auto, um seine verstreuten Gläubigen zu besuchen, Gottesdienste zu halten, Taufen zu spenden oder auch den Kirchen einen rudimentären Religionsunterricht zu geben.
Unterstützt wird er dabei gerade einmal von zwei Mönchen. Vier Kirchen besitzt und nutzt die große und zugleich doch so kleine syrische Diözese, zwei davon seien allerdings in einem sehr schlechten Zustand, bedauert Bischof Ürek.
Positiv erwähnt der Bischof, dass die syrisch-orthodoxen Christen in Iskenderun die neue eröffnete Kirche der syrisch-katholischen Gemeinde benützen können. Die Gebäude wurde erst vor kurzem von Seiten der türkischen Regierung an die Kirche zurückgegeben, früher wurde es vom Militär und als Kino genutzt.
Ein kleines Hoffnungszeichen liegt für Ürek darin, dass die große Auswanderungswelle der Syrer in den 1980er und 1990er-Jahre vorbei ist. Jetzt wandere niemand mehr aus, wohl würden aber einige Christen nach Istanbul ziehen, wo in den letzten Jahren eine größere syrische Gemeinde entstanden ist, die von Bischof Yusuf Cetin geleitet wird.
Tausende Syrer ohne Kirche
Die syrisch-orthodoxe Kirche in Istanbul im Stadtteil Tarlabasi in Beyoglu mit angeschlossenem Gemeindezentrum, wo auch Metropolit Cetin residiert, ist für die 10.000 Gemeindemitglieder längst zu klein geworden. Deshalb bemüht sich der Bischof seit längeren um eine zweite Kirche. Doch die Behörden hätten bisher alle Ansuchen um ein entsprechendes Grundstück und eine Baubewilligung abschlägig beantwortet, kritisiert Cetin. Derweilen genießen die Syrer Gastfreundschaft in der katholischen Kirche Saint Etienne im Stadtteil Yesilköy.
Metropolit Cetin kann aber auch über leichte Verbesserungen für seine Kirche sprechen. So werde man inzwischen auch von Seiten der staatlichen Behörden zu den offiziellen Feiern zum türkischen Nationalfeiertag (29. Oktober) eingeladen. Vor 15 Jahren sei so etwas noch undenkbar gewesen. Und bei religiösen Feiern funktioniere die Zusammenarbeit mit den Behörden, etwa was den Polizeischutz betrifft, ebenfalls sehr gut.
Irritiert zeigte sich Bischof Cetin allerdings darüber, dass es - auch wenn in der Türkei grundsätzlich alle Bürger gleich sind - Angehörige der christlichen Minderheit keine Chancen auf hohe Positionen in Politik, Verwaltung oder Militär haben. Das sei nicht einzusehen, so Cetin: "Wir lieben dieses Land. Wir wollen als kleine Kirche an der Entwicklung des Landes mithelfen."
Spirituelle Quelle für alle Christen
Vier syrisch-orthodoxe Diözesen gibt es in der Türkei. Jene von Istanbul und Adiyaman sowie die Diözese Midyat/Tur Abdin und Mardin, beide im Südosten des Landes gelegen. Die Stadt Mardin war seit frühchristlicher Zeit einer der Brennpunkte des syrischen Christentums; noch bis zum Ersten Weltkrieg und dem Genozid von 1915 waren nahezu 50 Prozent der Bewohner Christen.
Eines der spirituellen Zentrum war und ist das nahe Mardin gelegene Kloster Der-ul-Zafaran. Das Kloster geht auf das 5. Jahrhundert zurück. Mit Unterbrechungen residierte bis 1923 der syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien im Kloster, 1969 starb der letzte Bischof des Klosters. Vor zehn Jahren lebten nur mehr ein Mönch und eine Nonne im Kloster, das dem Verfall preisgegeben war.
Heute hat der Abt des Klosters und Erzbischof von Mardin, Philoxenos Saliba Özmen, wieder eine kleine Gemeinde im rundum renovierten Kloster um sich geschart. Er lebt mit zwei Mönchen und einem Lehrer samt dessen Familie im Kloster, das auch ein kleines Internat für syrische Buben beinhaltet. Diese besuchen staatliche Schulen im Mardin und werden abends im Kloster in syrischer Sprache, Kultur und Religion unterrichtet. So zählen insgesamt rund 30 Personen zur kleinen klösterlichen Gemeinschaft.
Da die syrisch-orthodoxe Kirche staatlich nicht als religiöse Minderheit anerkannt ist, darf sie auch keine eigenen Schulen führen. Bis in die 1960er Jahre war es noch möglich, dass syrische Kinder die Schulen der Armenier besuchte, dies wurde dann von Seiten der Behörden aber verboten. Ohne eigene Schulen ist es aber kaum möglich, dass die syrischen Kinder und Jugendlichen die eigene Sprache und Religion entsprechend erlernen können. Bescheidener Unterricht, wie er im Kloster stattfindet, ist die einzige Möglichkeit, die eigene Tradition, Kultur und Religion an die nächste Generation weiterzugeben.
Immer wieder berichten syrisch-orthodoxe Christen auch von Schwierigkeiten, syrische Kinder vom islamischen Religionsunterricht abzumelden. Grundsätzlich besteht in der Türkei ein verpflichtender Religionsunterricht, der sich in der Praxis am sunnitischen Islam orientiert. Christen und Juden sind von dieser Pflicht allerdings ausgenommen (nicht jedoch die Aleviten). Es gebe jedoch immer wieder Probleme mit Schulen und Lehrern, die dies nicht akzeptieren würden.
Rund um Mardin leben noch 130 christliche Familien, viele davon besuchen den Gottesdienst im Kloster. Aber auch für viele ausgewanderte Syrer sei das Kloster eine Art spirituelle Oase, die sie immer wieder aufsuchen würden, erzählt der Metropolit: "Alles was wir hier wieder aufgebaut haben und tun hat nur dann Sinn, wenn auch Menschen hier sind." Die Spiritualität des östlichen Christentums sei auch eine wesentliche Quelle für das Christentum im Westen, zeigt er sich überzeugt. Das Kloster steht auch Pilgern aus dem Westen offen und immer öfter wird es auch von Muslimen besucht.
Die letzten Christen von Dyabakir
Zunehmenden Besuch von Muslimen erhält auch Pfarrer Yusuf Akynz [Akbulut, SOL] in Dyabakir. In der Millionenstadt im Kurdengebiet lebten um 19.000 noch rund 13.500 syrische Christen, dazu noch weit mehr christliche Armenier. Heute zählt die christliche Gemeinde von Akynz [Akbulut, SOL] 25 Personen, darunter zwei Armenier. Er hat die Kirche zur Heiligen Jungfrau Maria im Zentrum von Dyabakir mit Spenden aus dem Ausland renoviert. Teile der Kirche gehen auf das 2. Jahrhundert zurück.
Die Kirche und das angeschlossene Wohnhaus sind von einer hohen Mauer umgeben. Die Mauer sei notwendig, erzählt der Priester, Anfeindungen von Muslimen seien keine Seltenheit. Andererseits würden auch viele Muslime die renovierte Kirche besichtigen und erstmals positiv mit der Tatsache konfrontiert werden, dass es in ihrer Stadt noch Christen gibt.
Von den einst 36 Kirchen in der Stadt ist kaum noch etwas zu sehen. Viele wurden in Moscheen umgewandelt. Einige sind aber noch vorhanden, beispielsweise die chaldäisch-katholische Kirche. Weil es aber keine Chaldäer mehr in der Stadt gibt, feiert Pfarrer Akynz [Akbulut, SOL] mit seinen syrisch-orthodoxen und den beiden armenisch-apostolischen Gläubigen in der katholisch-chaldäischen Kirche regelmäßig Gottesdienst. In der Not spielen die Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen keine Rolle mehr.
Möglicherweise wird die gemischte Gottesdienstgemeinde bald auch in der armenischen Kirche Gottesdienste feiern können. Diese wird derzeit u. a. mit staatlichen Mitteln renoviert. Ob das letztlich auch dazu führen wird, dass in Dyabakir wieder ein armenisch-kirchliches Leben entstehen wird, bleibt freilich mehr als fraglich.
"Die Türkei ist unsere Heimat"
Im Zuge des Genozids an den Minderheiten in der Türkei 1915 kamen mehr als 100.000 Syrer ums Leben. Hunderttausende mussten fliehen. Nur wenige blieben im Land. Das wird beispielsweise auch an der Diözese Midyat/Tur Abdin deutlich. Um 1900 hatte die Stadt rund 25.000 Einwohner, mehr als 95 Prozent waren Christen. Heute leben zwischen 70.000 und 80.000 Menschen in der Stadt, darunter nur mehr einige wenige christliche Familien.
Die seit 1961 in der Türkei angeworbenen Gastarbeiter für Deutschland (und Österreich) waren in den ersten Jahren fast nur christliche "Tur Abdiner", die auf der Suche nach materieller Sicherheit nach Jahrhunderten des Leidens und der Unterdrückung ihrer angestammten Heimat den Rücken kehrten.
Wer blieb, geriet in der felsigen und unübersichtlichen Bergregion in den 1980er und 1990er-Jahren zwischen die Fronten. Aufgerieben in den Kämpfen zwischen türkischem Militär, kurdischer PKK und kurdischen Dorfmilizen verließen Tausende ihre Dörfer. Nur wenige Alte blieben meist zurück.
Heute leben noch ca. 2.000 Christen vor Ort im Tur Abdin; Tendenz leicht steigend, weil einige der geflohenen und ausgewanderten Menschen in den vergangenen zehn Jahren zurückgekehrt sind.
Metropolit Timotheus Samuel Aktas ist Abt des Klosters Mor Gabriel und zugleich Bischof der Diözese Midyat/Tur Abdin. Für ihn besteht kein Zweifel, dass das syrische Christentum in der Türkei auch weiterhin Bestand haben wird: "Die Türkei ist unsere Heimat, hier wollen wir leben. Wir sind keine eingewanderten Fremden, wir sind seit Jahrtausenden hier."
kathweb.at / 08.06.2011
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