Freitag, 3. Juni 2011

Tur Abdin: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Im Kampf zwischen türkischer Armee und kurdischer Guerillabewegung PKK wurden die Christen in der türkischen Bergregion Tur Abdin aufgerieben und flüchteten. Inzwischen sind einige zurückgekommen und arbeiten an einer besseren Zukunft.

"Kathpress"-Reportage von Georg Pulling


Ankara, 03.06.2011 (KAP) Selten hat Metropolit Timotheus vom syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel die schlechten Straßen in die kleinen Bergdörfer im Tur Abdin so gerne zurückgelegt wie an diesem Sonntag. Heute ist für den Bischof und für alle syrischen Christen hier im kargen Südosten der Türkei ein besonderer Tag. In der kleinen Ortschaft Kafro wird der Metropolit den kleinen Iskender, das erste Kind einer sogenannten "Rückkehrerfamilie", taufen.

Die Region des Tur Abdin ("Berg der Gottesknechte") mit seinen Klöstern und Dörfern war eines der Zentren des syrisch-orthodoxen Christentums. Noch vor zehn Jahren standen viele Dörfer in der kargen Bergregion aber völlig leer. Die Ortschaft Kafro ist dafür ein gutes Beispiel. Im Kampf zwischen türkischer Armee, kurdischer Guerillabewegung PKK und den vom Militär bewaffneten kurdischen Dorfmilizen wurden die Christen aufgerieben. 1995 verließen die letzten Einwohner Kafro; das Dorf war dem Verfall preisgegeben.

2001 appellierte der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit an die ausgewanderten Christen, zurückzukommen. Er versprach Rechtssicherheit. Ähnlich äußerte sich zur gleichen Zeit auch der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer bei einem Besuch im Kloster Deyrulzafaran.

Die Syrer im Ausland nahmen den vermeintlichen Kurswechsel der türkischen Staatspitze wahr und einige folgten der Einladung. Insgesamt 14 Familien aus Deutschland, der Schweiz und Schweden, die früher in Kafro lebten, entschlossen sich 2006 zur Rückkehr. Ihre Häuser waren nicht mehr bewohnbar, sie bauten neue.

Zu den Rückkehrern zählt auch Israil Demir. 27 Jahre lebte er in Deutschland und arbeitete beim Autohersteller Audi. Jetzt ist er in der Bauwirtschaft vor Ort tätig, die drei Kinder besuchen Schulen in der nahen Stadt Midyat. Es sei schwierig, so Demir, den Lebensunterhalt zu verdienen. Noch problematischer sei aber nach wie vor die Sicherheitslage. Vor drei Wochen wurde er von einem Hirten mit einer Schrotflinte angeschossen und schwer verletzt, nachdem er verhindern wollte, dass dessen Herde über die Christenfelder zieht. Der Täter wurde bisher nicht gefasst, obwohl das Militär im Tur Abdin nach wie vor an vielen Ecken präsent ist. "Wir fühlen uns noch immer nicht sicher", klagt Demir. Trotzdem denkt er nicht daran, wieder nach Deutschland zurückzugehen: "Das hier ist unsere Heimat."

Dörfer ohne Kinderlachen

Bald nach Kafro führt die Straße an einem Militärcheckpoint weiter hinauf in die karge und einsame Bergwelt. Vorbei an einem Panzer schlängelt sich die schmale Schotterstraße durch kleine Schluchten und einen Pass, bis sie schließlich ins kleine Christendorf Badibe führt, dem Geburtsort von Aho Shemunkasho. Der Wissenschaftler lebt nun mit seiner Familie in Salzburg, arbeitet an der dortigen Universität und zählt zu den führenden - wenn auch wenigen - Syrologen weltweit.

Einst lebten 110 christliche Familien in Badibe. Als Shemunkasho 1968 als eines von acht Kindern in Badibe zur Welt kam, gab es in dem Dorf noch nicht einmal Strom. Trotzdem habe er eine glückliche Kindheit erlebt, bis die Auseinandersetzungen zwischen Armee und kurdischer PKK immer dramatischere Auswirkungen annahmen, erzählt er. Abwechselnd kamen schwer bewaffnete Guerillakämpfer und Soldaten in den Ort, okkupierten die Häuser der Bewohner und versorgten sich mit Nahrungsmitteln. In den Hügeln rund um das Dorf wurde gekämpft, immer wieder kamen im gesamten Tur Abdin Dorfbewohner ums Leben. Anfang der 1980er Jahre gab Ahos Familie schließlich auf und flüchtete nach Deutschland. Ab 1984 stand Badibe völlig leer.

Das Gebiet wurde zur militärischen Sperrzone erklärt. Letztlich sogar ein Glücksfall für die Auswanderer. Denn so konnte sich niemand ihre Häuser und Grundstücke illegal aneignen.

Auch nach Badibe sind seit 2006 wieder einige Bewohner zurückgekommen und haben ihre Häuser renoviert. Allerdings: Es sind nur alte Leute; Kinderlachen und -lärm hört man nicht in der kleinen Ansiedlung. Und auch die Alten verbringen nur die Sommermonate im Ort. Dann gehen fast alle wieder zurück nach Westeuropa.

Neues Leben in alten Klostermauern

Wer den Mönch Joachim im Mor Augin-Kloster besuchen will, braucht Gottvertrauen. Abenteuerlich schlängelt sich die schmale Straße die felsigen Südhänge des Tur Abdin hinauf zu einem riesigen, allerdings großteils verfallenen Klosterkomplex, der am Berghang klebt. Das Kloster wurde im 4. Jahrhundert gegründet, in der Blütezeit lebten dort mehr als 350 Ordensmänner. Mor Augin war ein bedeutendes spirituelles Zentrum, von dem aus Klöster bis in den Irak hinein gegründet wurden. Vor hundert Jahren lebten dort noch zwölf Mönche, 1970 starb der letzte.

Das Leben in Mor Augin war erschlossen bis der 35-jährige Pater Joachim das Anwesen für sich entdeckte. Mit einfachsten Mittel wurden einige Räume wieder hergestellt, in der Klosterkirche - nur eine Kirche von vielen in dem riesigen Komplex - wurde ein Altar eingerichtet. Mehrmals in der Woche fährt der Mönch die einsame Bergstraße hoch, um im Kloster Liturgie zu feiern. Dann erklingen in der Einsamkeit des Tur Abdin wieder in der Sprache Jesu die aramäischen Gesänge der syrischen Liturgie. In wenigen Wochen, so hofft Joachim, wird er für immer ins Kloster übersiedeln um hier sein spirituelles Leben zu führen und hoffentlich auch andere anzuziehen, wie er sagt.

Jenseits aller spirituellen Bemühungen muss er zuerst aber zentrale Klosterteile vor dem vollständigen Zerfall bewahren. Dabei sei er auf Spenden angewiesen, betont der Mönch. Vom türkischen Staat sei bisher kein Geld geflossen. Allerdings hätten die Behörden inzwischen zumindest die Bergstraße grob asphaltiert und eine Stromleitung zum Kloster verlegt. - Kleine Hoffnungszeichen auf eine bessere Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat.

Glaube an die Zukunft

Bei der Taufe des kleinen Iskender ist die gesamte Dorfgemeinschaft von Kafro dabei. Die Eltern Kerima und Saliba sind aus der Schweiz zurückgekommen. Die Taufe findet in der kleinen Marienkapelle statt, die die Dorfgemeinschaft 2007 auf den Grundresten einer uralten Kirche erbaut hat. Unterstützt wurden die syrisch-orthodoxen Christen von Kafro dabei von der evangelischen Kirche im deutschen Würtenberg.

Eigentlich gibt es auch eine große Kirche im Ort. An der wird aber die schlimme Vergangenheit und unbefriedigende Gegenwart deutlich: Die Kirche ist völlig verwüstet und ausgeraubt. Die Wände sind mit Kritzeleien kurdischer PKK-Kämpfer und türkischer Soldaten verunstaltet. Zahllose Einschusslöcher von Maschinengewehren zeugen von der gewaltsamen Geschichte. Gerne würden die Bewohner von Kafro trotz allem auch diese Kirche wieder renovieren. Doch sie befindet sich im Staatsbesitz. Und der Staat zeigt derzeit keinerlei Interesse, von sich aus aktiv zu werden.

Bischof Timotheus spricht bei der Taufe von Iskender von einem großen Hoffnungszeichen für die Christen im Tur Abdin. 13 Kinder und Jugendliche leben damit nun schon in Kafro. Zwei weitere Familien erwarten demnächst Nachwuchs. Trotzdem scheint das neue Jugend- und Versammlungszentrum, das die Dorfgemeinschaft nahe der Marienkapelle baut, überdimensioniert. Doch mit dem Bau wollen die Leute von Kafro auch ein Zeichen setzen: dass sie an die Zukunft hier im Tur Abdin glauben.
kathweb.at / 3.6.2011

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