Von Dietmar Hipp, Karlsruhe
Eine christliche Kirche steht in einem Industriegebiet - und soll zusätzlich noch eine Begräbnisstätte bekommen. Darüber ist nun ein bizarr anmutender Streit entbrannt. Die Richter des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs müssen eine schwierige Entscheidung treffen.
Hell hebt sich der imposante Kirchenbau samt seinen drei, von vergoldeten Kreuzen gekrönten Türmen ab vom dahinter liegenden Wald - nur noch überragt von einem rotgestrichenen Silo der benachbarten Verpackungsfabrik.
Die syrisch-orthodoxe Kirche "Mor Gabriel", Sankt Gabriel, mit 300 Sitzplätzen im Innern, steht im Industriegebiet von Kirchardt, einem 3700-Seelen-Ort im Landkreis Heilbronn. Um diese christliche Kirche ist jetzt ein ganz und gar unchristlicher Rechtsstreit entbrannt, der reichlich grotesk anmutet - und um so erbitterter geführt wird. Die Protagonisten sind ein resoluter Bürgermeister und ein eigensinniger Pfarrer, und sieht man von Äußerlichkeiten ab, fühlt man sich fast an die legendären italienischen Streithähne Don Camillo und Peppone erinnert.
Der Vorstand der Kirchengemeinde hat einen kleinen Umbau beantragt - ein Umbau, den man aus religiösen Gründen für notwendig hält, den die Gemeinde Kirchardt aber partout ablehnt: In die Kirche Sankt Gabriel soll eine Krypta eingebaut werden, eine Begräbnisstätte, mitten im Industriegebiet.
Es geht um die immer wieder auftauchende Frage, wie flexibel deutsche Rechtsvorschriften gehandhabt werden müssen, wenn die vom Grundgesetz besonders geschützte "ungestörte Religionsausübung" betroffen ist. Doch während solche Konflikte sonst vor allem mit Muslimen entstehen, streiten hier Christen mit Christen darüber, was zum Schutz der Religionsfreiheit gehört, und was nicht. Und um so deutlicher wird in diesem Fall, wie schnell man sich in solchen Streitigkeiten in Prinzipien verrennt, wo eine schiedliche Lösung doch auf der Hand liegen würde.
Der Abstellraum soll in eine Grabstätte verwandelt werden
Die syrisch-orthodoxen Christen kamen aus dem Südosten der Türkei nach Kirchardt, zuerst in den siebziger Jahren, als Gastarbeiter beim Autobahnbau, später als wegen ihrer Religion verfolgte Asylbewerber. Ihr Glaube geht auf die Urchristen zurück, noch heute sprechen sie aramäisch, die Sprache Jesu.
Auch in Warburg, in Nordrhein-Westfalen, gibt es einen ähnlichen Streit, doch der Kirchardter Konflikt ist schon wesentlich weiter gediehen. Die baden-württembergischen Gerichte haben die sogenannte Nutzungsänderung zunächst aus allgemeinen Erwägungen abgelehnt, doch die Richter des Bundesverwaltungsgerichts gaben sich damit nicht zufrieden. Sie gaben den Kollegen des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) auf, sich den Fall noch einmal genauer - und vor allem wohlwollender - anzusehen. In diesen Tagen nun müssen die VGH-Richter ihr Urteil finden, das an diesem Dienstagabend verkündet werden soll.
"Wir haben nun ein paar Tage Zeit, alles abzuwägen und zu überlegen", so der Vorsitzende VGH-Richter Klaus Schaeffer am vergangenen Mittwoch, "und wir treffen dann hoffentlich die richtige Entscheidung".
Darüber, was richtig ist, und was nicht, werden die Meinungen in Kirchardt aber mit Sicherheit wieder einmal auseinandergehen. Die Richter sehen sich in ihren rechtlichen Überlegungen jedenfalls konfrontiert mit einer schier endlosen Hakelei.
An der Spitze der Krypta-Gegner steht Bürgermeister Rudi Kübler, ein umtriebiger, direkter Typ, mit leuchtend blauen Augen und kurzen, stahlgrauen Haaren, dessen braungebranntem Teint und sportlicher Figur man nicht ansieht, dass er schon seit 27 ununterbrochen im Amt ist.
Für die Krypta kämpft Pfarrer Iza Demir, ein kleiner, untersetzter, immer freundlich, aber auch etwas undurchsichtig blickender Mann, mit schwarz-grauem Vollbart, gehüllt in einen bodenlangen Talar, mit einer kreisrunden, schwarzen Kopfbedeckung, und einem silbernen, orthodoxen Kreuz vor dem Bauch.
Kübler spricht bei der Verhandlung im Kirchardter Rathaus zunächst von den Plänen der Kommune: Südlich der Kirche, wo bis jetzt nur Maisfelder sind, soll das Industriegebiet erweitert werden, und die benachbarte Fabrik, die europaweit führend ist in der Herstellung von Holzpaletten, soll dort drei neue Produktionshallen bekommen. Demirs Kirche wäre dann fast komplett von Fabrikhallen umstellt, im "Mehrschichtbetrieb", wie Kübler bissig hinzufügt.
Der Bürgermeister fühlt sich hintergangen
Die Umbaupläne von Pfarrer Demir muten dagegen eigentlich bescheiden an. Nur der kleine Abstellraum unter dem Chorbau, mit Zugang von außen, soll in eine Grabstätte mit zehn Liegeplätzen für Sarkophage umgewandelt werden.
Pfarrer Demir hat ein ganz besonderes Interesse an dem Projekt: Es soll nämlich sein eigener Grabbau werden - und der seiner Nachfolger. "Wenn wir sterben, kommen wir nicht auf einen normalen Friedhof, sondern in eine Krypta", sagt Pfarrer Demir, "das gilt für den gesamten syrisch-orthodoxen Klerus.
Bürgermeister Kübler fühlt sich von dem Gottesmann hintergangen: Schon beim Bauantrag für die Kirche war die Krypta vorgesehen - doch eine Begräbnisstätte im Industriegebiet habe der Gemeinderat ausdrücklich abgelehnt. Erst als der Architekt auf den Plänen das Wort "Krypta" durchstrich und "Lagerraum" darüber schrieb, habe man zugestimmt, sagt Kübler, und seine Stimme wird laut: "Es war für uns nicht ersichtlich, dass man das weiter plant".
Hätte es denn damals einen alternativen Bauplatz in einem Wohngebiet gegeben, will Richter Schaeffer wissen. Nein, sagen Demirs Leute. Ja, sagen die von Kübler, die Gabriel-Gemeinde habe den Standort des günstigen Preises wegen gewählt.
Wie groß diese Kirchengemeinde sei, will der Vorsitzende wissen. 433 Mitglieder, sagt der Kirchenanwalt. In der ganzen Kommune gebe es 760 syrisch-orthodoxe Christen, davon gehörten nach seinen Berechnungen 581 zu zwei weiteren syrisch-orthodoxen Gemeinden in Kirchardt und Umgebungsagt Kübler. Blieben für Demirs Kirchbau also nur noch 190 Kirchardter übrig.
Ist denn die Grablege unter der Kirche notwendig? Nein, schimpft Bürgermeister Kübler. Die anderen syrisch-orthodoxen Gemeinden hätten auch keine Krypta, und sagten, "das brauchen wir nicht". Demirs Anwalt dagegen verweist auf die orthodoxen Schriften, in denen es heißt, der Priester sei zu bestatten "unter dem Altar, an dem er gedient hat".
Zehn Grablätze sind ohnehin viel zu viele, meint die Kommune. Man befürchtet, es kämen auch Pfarer aus anderen aramäischen Gemeinden dort hinein. Die Kirchenleute sind bereit zuzusichern, dass das nicht geschieht. Der Kommune reicht das nicht. "Irgendwann haben wir da mal eine Begräbnisstätte wie im Petersdom", sagt deren Anwalt, "nur liegen da dann die Pfarrer von Kirchardt drin."
Richter Schaeffer versucht es mit einem Witz: "Wir haben ja jetzt die ganz groteske Situation, dass wir uns überlegen müssen, wie es wäre, wenn sie dort unten liegen", sagt er zu Pfarrer Demir. Pfarrer Demir lacht.
"Ich kann das meiner Bevölkerung gegenüber nicht rechtfertigen"
Auf Seiten Küblers nimmt man den Hinweis dagegen offenbar allzu wörtlich. Es gebe da solche "Horrorfilme", sagt der beigeladene Geschäftsführer einer Maschinenbau-Fabrik, da sei es "nicht gerade so angenehm, wenn neben der Grabstätte die Kreissäuge läuft". Und Küblers Anwalt erwähnt die Privatwohnung im Untergeschoss der Kirche liege, deren Küche an die geplante Krypta grenzt - er werde da "an Frankenstein erinnert". Was endlich auch dem Anwalt Demirs Gelegenheit gibt, sich mal kurz aufzuregen.
Kübler und seine Leute echauffieren sich dagegen ein ums andere Mal über die "Salamitaktik" der Gegenseite - wenn man jetzt die Krypta genehmige, "dann planen die als nächstes ein Kloster". Deren Anwalt weist süffisant darauf hin, dass es das übergeordnete Regierungspräsidium war, das ausdrücklich vorgeschlagen habe, zunächst auf die Krypta zu verzichten, und sie dann nachträglich genehmigen zu lassen.
Davon habe er nichts gewusst, schäumt Kübler. Hätte er besser mal nachgefragt, kontert der Anwalt der Kirchengemeinde.
Es habe eine Unterschriftenaktion gegen die Krypta gegeben, sagt Kübler. Von Kübler inszeniert, sagt Demir nach der Verhandlung.
Kübler will keine Prozessionen zur Krypta. Zur Krypta gebe es keine Prozessionen, sagt Demir, nur der Pfarrer gehe dort hin, aber "wenn andere mitwollen, dürfen die natürlich auch mit hinein".
Im Nahen Speyerer Dom lägen doch auch Sarkophage, ohne dass sich jemand stört, wirft die beisitzende Richterin vorsichtig ein. "Das ist historisch bedingt", sagt Kübler, "das ist der deutsche Kaiser" sagt sein Anwalt. Und kein syrisch-orthodoxer Priester aus dem Gebiet der Türkei.
Schließlich schlägt Richter Schaeffer einen Vergleich vor: Die Krypta soll nur vom Kircheninneren aus zugänglich sein, und die geplanten zehn Grabplätze sollen auf fünf reduziert werden. Demir würde zustimmen, doch Kübler lehnt ab. "Ich kann das meiner Bevölkerung gegenüber nicht rechtfertigen, wenn ich sage, ich akzeptiere das, haben wir hier einen Bürgerkrieg."
"Es war eine sehr informative und interessante Verhandlung", sagte Schaeffer zum Schluss der Verhandlung. Das Urteil, das er und seine Kollegen nun sprechen müssen, werde "vielleicht nicht das letzte Wort sein".
Damit dürfte er Recht haben. Denn wer immer verliert - er wird wieder das Bundesverwaltungsgericht anrufen.
Und sollte dort die Kirchengemeinde obsiegen, wäre nur der baurechtliche Teil des Streits geklärt. Die Krypta, grinst einer auf Küblers Seite, könnte man dann ja immer noch nach dem Bestattungsrecht verbieten.
© SPIEGEL ONLINE 2011 / 26.07.2011
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