Freitag, 23. Dezember 2011

Sprechen wie Jesus Aramäisch


Wollen eine vergessene Sprache wiederbeleben: Marun Allam (77), einer der letzten Bewohner von Jish, der Aramäisch spricht, und Shadi Khalloul mit einer Bibel.
Foto: Gil Yaron


23.12.2011 18:10 Uh

Sprechen wie Jesus Aramäisch

Im Dorf Jish, etwa 50 Kilometer nördlich von Nazareth, lernen Kinder in der Grundschule eine fast vergessene Sprache.

Nicht weit vom Heimatort Jesu erfährt die Alltagssprache des damaligen Nazareth eine Renaissance. Israels Maronitische Christen haben im letzten Augenblick ihre Wurzeln wiederentdeckt und begonnen, dem Aramäisch neues Leben einzuhauchen.

„Es war, als hätte er mir ein Messer mitten ins Herz gestoßen“, erinnert Schadi Khalloul sich an den Augenblick vor sechs Jahren, der zur Wiedergeburt einer alten Sprache führen würde. Damals saß der junge israelische Araber in einem College in Las Vegas im Unterricht, während ein Dozent die Rolle der Bibel für die englische Literatur besprach: „Der Messias sprach Aramäisch“, erläuterte der Professor, bevor er Schadi unwissentlich beleidigte und behauptete: „Das ist eine Sprache, die nicht mehr existiert.“ Schadi protestierte sofort und stand auf: „Was soll das heißen – wir existieren nicht mehr? Natürlich gibt es die Aramäer noch!“ Zum Beweis sagte er das „Vaterunser“ auf Aramäisch auf: „Die Studenten und der Dozent begannen zu weinen. Da erkannte ich, dass unsere Kultur wiederbelebt werden muss“, sagt der 35-Jährige.

Mit „Uns“ meint Schadi die Kultur der Aramäer, eines der ältesten Völker des Nahen Ostens. Mehr als 1000 Jahre lang, bis ins 7. Jahrhundert, war Aramäisch die grenzüberschreitende Verkehrssprache der gesamten Region. Der Aramäer Abgar VIII. soll bereits im zweiten Jahrhundert der erste König gewesen sein, der zum neuen Glauben übertrat. Im fünften Jahrhundert bekehrte der Heilige Marun (351-410) große Teile Südsyriens zum Jesusglauben. Sein Märtyrertod gab den Konvertiten nur noch mehr Energie und der maronitischen Kirche ihren Namen. Doch der Eroberungsfeldzug der Araber im 7. Jahrhundert verdrängte nicht nur das Christentum, sondern auch die aramäische Kultur: Christen traten zum Islam über, ihre Kultur wurde assimiliert.

„Unsere Identität warf schon immer Probleme auf“, sagt Nadim Issa, ein Maronit aus dem Dorf Jish in Galiläa. „Und auch heute sind wir für die Juden Araber und werden deswegen oft als potenzielle Feinde betrachtet, für die Araber sind wir Christen, und deswegen ebenfalls suspekt.“ Schadi und Nadim wollten dieses Dilemma beenden: „Als die Studenten in der Klasse weinten, fragte ich mich: Wie kommt es, dass man in den USA so über meine Kultur erfreut ist, wir sie selber aber verstecken?“, erinnert sich Schadi.

Diese Angst vor dem Anderssein hat historische Ursachen. Anfangs verliehen die Kreuzzüge der letzten Bastion der christlichen Maroniten im Libanon neue Kraft. Von hier aus pflegten sie enge Bindungen zu Europa: 1182 vereinigten sie sich mit der römisch-katholischen Kirche, behielten dabei jedoch ihren alten Ritus und damit auch die Aramäische Sprache bei.

Mit dem französischen Mandat und der Gründung Libanons in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte ihr Einfluss einen Höhepunkt. Doch die großzügige Grenzziehung, mit der die Franzosen das Land der Zedern stärken wollten, war für die Maroniten verheerend. Sie wurden im eigenen Land zur Minderheit. Bedrohung durch Muslime und der lange Bürgerkrieg führten zu einem Massenexodus. Heute leben Millionen von Aramäern in Südamerika.

Dort in der Diaspora begann vor sechs Jahren Schadis lange Odyssee. Zuerst ging er auf Vortragsreisen, um der Welt und seinen Landsleuten die Geschichte seines Volkes zu erzählen. Dann wurde er zum Vorsitzenden des Aramäervereins und nahm ein neues Projekt in Angriff: „Ich will, dass unsere Kinder wieder Aramäisch sprechen.“ Das sei kein Traum: Als ehemaliger Fallschirmjäger in der israelischen Armee hat er sich viele der zionistischen Gründungsmythen zu eigen gemacht: „Vor hundert Jahren sprach auch niemand Hebräisch, aber die Juden haben es geschafft, dass heute wieder Bücher und Theaterstücke in dieser Sprache geschrieben werden. Das können wir auch!“

In Israel leben heute rund 7000 Maroniten. Ihre Kultur schien vom Aussterben bedroht: Seit dem 18. Jahrhundert sprechen selbst im Libanon die Maroniten Aramäisch, sogar der berühmteste maronitische Schriftsteller Khalil Gibran verfasste seine Werke auf Arabisch. Nur noch die Alten beherrschen heute die Sprache, in der Jesus predigte, Kinder zitieren bestenfalls das „Vaterunser“.

Zwischen den sanft rollenden Hügeln Galiläas, etwa 40 Autominuten vom See Genezareth entfernt, eingebettet zwischen Olivenhainen, Rebstöcken und Citrusbäumen arbeiten Schadi und seine Freunde erfolgreich an der Renaissance der Kultur, die Jesus maßgeblich prägte. Schon bald soll hier im Dorf ein 240 Quadratmeter großes „Aramäermuseum“ eröffnet werden. Bis dahin empfängt Nadim unter dem blinkenden Weihnachtsbaum in seinem Wohnzimmer Gruppen, denen er bei einem feudalen Essen die Geschichte seines Volkes näherbringt.

Ein Höhepunkt des Aufenthalts in Jish ist der Kinderchor der Grundschule, der brav aramäische Lieder und Gebete singt. Wie einst Hebräisch sollen auch in Jish Eltern die Sprache von den Kindern lernen. Vorerst beschränkt sich deren Wortschatz jedoch auf Sätze wie: „Das ist mein Bruder“, oder „Das ist ein Stift“. Dennoch ist Schadi begeistert: „Israel ist der einzige Ort auf der Welt, in der die Sprache Jesus wieder auf dem Lehrplan steht, und wo die Sprache mit dem originalen Alphabet gelehrt wird.“

Nach langem Ringen erhielt Schadi die Unterstützung des israelischen Erziehungsministeriums. Heute lernen mehr als 200 Kinder im Dorf Jish eine Stunde pro Woche Aramäisch. Obwohl es nicht Pflicht ist, nehmen die maronitischen Kinder im Dorf ausnahmslos am Unterricht teil. In wenigen Jahren, so träumt Schadi, wird das sogar Stoff für Abiturprüfungen sein. Die zehn Jahre alte Karis Elias, die eines Tages Umweltschützerin werden will, ist jedenfalls mit Begeisterung dabei: „Ich finde es aufregend, die Sprache des Heilands zu lernen“, sagt sie.
Weihnachten für Schaulustige

Christkinder und Nikoläuse mögen die Adventszeit in Europa dominieren – für die Bewohner des Geburtslands Jesu sind die Feiern anlässlich seiner Geburt jedoch eher eine exotische Angelegenheit. Wie wird das Fest in Israel begangen?

Um den Status von Weihnachten in Israel zu verstehen, muss man nur das Kommuniqué lesen, das die staatliche Pressebehörde diese Wo- che an Journalisten verteilte: Es verkündete stolz, dass die Forstbehörde dieses Jahr Weihnachtsbäume gleich an zwei Orten verkaufen wird, für umgerechnet 14 Euro pro Baum. Ausländer und einheimische Christen müssen also in den meisten Fällen nicht mehr als eine Stunde mit dem Auto fahren, um sich den bekanntesten Festtagsschmuck in ihre Wohnzimmer zu holen. Christen sind mit knapp zwei Prozent der Bevölkerung eine so kleine Minderheit, dass es schwer ist, Festtagsstimmung zu verspüren.

Natürlich sind Diasporagemeinden bemüht, ein wenig vom Weihnachtsduft mit ins Heilige Land zu bringen: Deutsche veranstalten in der Erlöserkirche jedes Jahr einen fröhlichen Weihnachtsmarkt, auf dem vom Spekulatius bis zum Glühwein und dick gestrickten Socken alles zu haben ist. Philippinische Gastarbeiter in Süd Tel Aviv und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Nordisrael hängen hin und wieder Weihnachtsschmuck oder einen aufblasbaren Weihnachtsmann in ihre Fenster, aber mehr ist von Advent nicht zu sehen.

Heiligabend sind die Kirchen Israels dennoch brechend voll, aber nicht mit einheimischen Christen. Gastarbeiter, Pilger und vor allem israelische Juden füllen die Holzbänke. Die wollen sich das für sie exotische Spektakel von Weihrauchduft und lateinischem Gemurmel nicht entgehen lassen und strömen in den Nächten zu den heiligen Stätten des Christentums, um daheim ein wenig von der ausländischen Urlaubsstimmung mitzubekommen. Text: gil

Von unserem Korrespondenten Gil Yaron
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