Eichsfelder Tageblatt, 9.6.2012,
Seite 35.
Türkischer Kultusminister
präsentiert Fund / Kirche feiert am 11. Juni Namenstag des Heiligen
VON MICHAEL CASPAR
Schwarz sind
die Seiten des Buches. Der aramäische Text ist mit goldener Farbe geschrieben. Aramäisch
war die Muttersprache Jesu. Es handele sich, so der türkische Kultusminister
Ertugrul Günay während einer Pressekonferenz im Februar in Ankara, um eine 1500
Jahre alte Handschrift des Barnabasevangeliums. Barnabas, dessen Namenstag die
katholische Kirche am 11. Juni feiert, gehörte bereits zu Jesu Lebzeiten zu dessen
Anhängern und arbeitete später mit dem Heidenapostel Paulus zusammen.
„Die islamische
Welt reagierte auf den Fund elektrisiert, zahlreiche Medien griffen das Thema auf“,
berichtet der syrisch-orthodoxe Theologe Gabriel Rabo aus Göttingen. Auch Rabos
Interesse war groß. In seiner Kirche wird das Aramäische im Gottesdienst verwendet.
In Ankara ist nur eine Seite der Handschrift gezeigt worden. Der Theologe hat
den abgebildeten Text übersetzt. „Es handelt sich um die letzten beiden Verse des
Matthäusevangeliums“, sagt er. Sie würden wörtlich mit der aramäischen
Peshitta-Bibel übereinstimmen. Die Handschrift sei jedoch nicht in der
Estrangelo-Schrift verfasst, die für 1500 Jahre alte Texte typisch sei.
Vielmehr würden ostsyrische Buchstaben verwendet, die erst im 13. Jahrhundert
in Gebrauch kamen.
Der letzte
Satz auf der Seite, so der Theologe, sei im ostsyrischen Dialekt des
Aramäischen formuliert, der erst seit dem 19. Jahrhundert in der Schriftsprache
verwendet werde. Es heiße dort: „Im Namen des Herrn wurde dieses Buch durch die
Hände der Mönche des Oberen Klosters Ninive im Jahre 1500 des Herrn abgeschrieben.“ Rabo: „Im Text selbst steht also, dass das Manuskript
nur 500 Jahre alt ist und selbst das ist viel zu hoch gegriffen.“
Warum aber hat
der Fund, den Fachleute wie Rabo leicht als Fälschung identifizieren können,
ein so starkes Echo in der islamischen Welt gefunden? Was hat es mit dem
Barnabasevangelium auf sich? Tatsächlich ist ein solcher Text in der Spätantike
bekannt gewesen. Ein Verzeichnis nicht biblischer Schriften aus dem Jahr 496
erwähnt ein solches Evangelium. Jedoch hat kein frühchristlicher Autor jemals aus
dieser Schrift zitiert. Bekannt sind dagegen ein Barnabasbrief und die
Barnabasakten. Erst im 16. Jahrhundert tauchte ein Barnabasevangelium in Spanien
auf. Das älteste vollständige Manuskript ist eine italienische Übersetzung aus
dem 18. Jahrhundert. Sie ist 1908 ins Arabische übersetzt worden und fand unter
Muslimen begeisterte Aufnahme. Die Schrift bestätigt nämlich islamische
Glaubensüberzeugungen. So bezeichnet sich Jesus in dem Evangelium nur als
Prophet, nicht als Sohn Gottes. Nicht er stirbt am Kreuz, sondern Judas. Außerdem
kündigt der Barnabas-Jesus einen größeren Propheten an: Mohammed. Der Text
wirft zudem Paulus vor, die Botschaft Jesu verfälscht zu haben.
Während sich
viele Muslime in ihren Überzeugungen bestätigt sehen, gehen westliche
Wissenschaftler davon aus, dass der Text nicht von Barnabas stammt. Sie
vermuten, dass ein Jude oder ein Christ, der zum Islam konvertiert ist, die
Schrift zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert verfasst hat. Die
Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher, die mit einer Arbeit über das
Buch promovierte, macht auf die vielen Merkwürdigkeiten der Schrift aufmerksam.
So weist der Barnabas-Jesus mit Nachdruck den Titel eines Messias zurück, der
einzig seinem Nachfolger Mohammed gebühre. Gleichzeitig nennt er sich jedoch
Christus. Das Wort ist griechisch und bedeutet, ebenso wie das hebräische
Messias, „Gesalbter“.
Seltsam ist, dass der Evangelist glaubt,
dass sich Jerusalem vom Meer her mit dem Schiff erreichen lässt. Die Stadt im
Binnenland hat jedoch keinen Hafen. Zu den Skurrilitäten gehört zudem, dass der
Autor von zehn Himmeln und sieben Höllen spricht. Diese Vorstellung findet sich
auch in der „Göttlichen Komödie“ des Dichters Dante Alighieri. Das Evangeliumist
1984 auf Deutsch erschienen. Ein Verlag, der dem Naqschbandi-Sufiorden nahesteht,
brachte es heraus.
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