13.07.2012
Der Landbesitz des syrisch-orthodoxen
Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien ist nach jahrelangem
Rechtsstreit nun im Berufungsverfahren gegen das Schatzamt der
Türkei den umliegenden Dörfern zugesprochen worden. Das hat der
Anwalt des Klosters, Rudi Sümer, an diesem Dienstag bestätigt.
Nach westlicher Einschätzung ist das Urteil zumindest
zweifelhaft, denn wichtige Dokumente wurden vom Gericht nicht
berücksichtigt. Andererseits wäre nun der Weg für eine Klage vor
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei. Der
Türkeiexperte und Leiter der Fachstelle Menschenrechte beim
katholischen Hilfswerk „missio“ in Aachen, Otmar Oehring, spricht
der Türkei in Zusammenhang mit diesem Urteil gar die
Rechtsstaatlichkeit ab:
„Weil es ein typisches und deshalb auch zu
erwartendes Urteil des Kassationsgerichts in Ankara war,
welches sich nicht auf das Recht stützt, sondern welches ganz
offensichtlich ein politisches Urteil ist, das natürlich auch
von staatlichen Behörden so gewollt war. Wenn in der Türkei
Rechtsstaatlichkeit herrschen würde, dann hätte dieses Gericht
sich natürlich auch auf die vorgelegten Dokumente stützen
müssen.“
Auch in Deutschland hat der Fall bereits für
Aufsehen gesorgt. Da das syrisch-orthodoxe Kloster in der
Türkei zu einer religiösen Minderheit gehört, blickt Erzbischof
Schick mit Sorge auf das Urteil. Es gebe ein „bedenkliches Signal
an die christliche Minderheit“. Mor Gabriel gilt als geistliches
Zentrum für rund 3.000 syrisch-orthodoxe Christen im Südosten
der Türkei. Auch Politiker wie Erika Steinbach von der CDU
schalten sich in die Diskussion mit der Vermutung ein, dass die
Entscheidung des Berufungsgerichts in Ankara politisch
motiviert gewesen sei. Otmar Oehring bestätigt uns, dass der Fall
als extrem komplex anzusehen ist. So seien nicht nur die auf dem
betroffenen Landstück angesiedelten Dörfer in den Konflikt
verwickelt.
„Es geht darum, dass diese drei Dörfer praktisch
einem kurdischen Stammesführer gehören und dieser ein
Interesse dran hatte, die Landflächen des Klosters zu bekommen.
Er ist gleichzeitig Abgeordneter der regierenden AKP im
türkischen Parlament gewesen. Und da spielt dann wiederum noch
eine Rolle, dass der türkische Staat ein Interesse an der
bevorzugten Behandlung bestimmter kurdischer Stammesführer
hat, die im Bürgerkrieg zwischen der PKK und der türkischen
Republik dem türkischen Staat sogenannte Dorfwächter zur
Verfügung gestellt haben.“
Bei den Dorfwächtern handle es sich um eine
paramilitärische Einheit, die, meist unfreiwillig, von ihren
Feudalherren, den Stammesführern, im Bürgerkrieg für den
türkischen Staat eingesetzt wurden.
„Man darf nun vermuten, dass diese Gemengelage
dazu geführt hat, dass es ein großes Interesse von staatlicher
Seite gab, diesen Prozess auf jeden Fall nicht zu Ungunsten des
Klägers, in diesem Fall dieses Stammesführers und der von ihm mit
dem Prozess beauftragten Dörfer, kommen zu lassen.“
Wie Oehring berichtet, kam es im Vorfeld des
Berufungsurteils zu verschiedenen Versuchen durch das
türkische Parlament, zu einer gütlichen Einigung zu kommen und
dem Kläger gleichwertige Landflächen aus türkischem
Staatsbesitz zu übertragen. Offensichtlich sei eine derartige
Einigung aber nicht zustande gekommen. Dennoch – auch wenn das
Kloster den Fall zunächst verloren hat, könne man ihn als Chance in
Bezug auf die Menschenrechte der syrisch-orthodoxen Minderheit
sehen.
„Wir haben jetzt eben zunächst einmal das
negative Urteil, das aber in sich natürlich auch wieder eine
große Hoffnung für das Kloster und auch für die syrisch-orthodoxe
Gemeinschaft in der Türkei in sich birgt, weil damit nun der Weg nach
Straßburg und zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
eröffnet ist.“
Hintergrund
In dem langwierigen Rechtsstreit des
syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien
gegen das Schatzamt der Türkei ging es um die Besitzrechte an 28
Hektar Land in der Umgebung des Klosters. Das Schatzamt war in
erster Instanz vor Gericht unterlegen, weil das Kloster
nachweisen konnte, dass es seit 1937 Steuern auf den Landbesitz
gezahlt hatte. Das Berufungsgericht in Ankara berücksichtige
allerdings die entsprechenden Steuerbelege nicht, weil die
Dokumente angeblich verlorengegangen waren. Das Kloster hatte
sie zwar erneut bei Gericht eingereicht, unterlag nun jedoch vor
der Großen Kammer des Berufungsgerichts. Nun werde ein Einspruch
vor dem Verfassungsgericht oder vor dem Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof geprüft, heißt es.
(rv/domradio 12.07.2012 db/cs)
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