Freitag, 27. Juli 2012

Türkei: Urteil gegen Mor Gabriel nicht „rechtsstaatlich“

13.07.2012

Der Land­be­sitz des sy­risch-or­tho­do­xen Klos­ters Mor Ga­bri­el in Süd­ost­ana­to­li­en ist nach jah­re­lan­gem Rechts­streit nun im Be­ru­fungs­ver­fah­ren gegen das Schatz­amt der Tür­kei den um­lie­gen­den Dör­fern zu­ge­spro­chen wor­den. Das hat der An­walt des Klos­ters, Rudi Sümer, an die­sem Diens­tag be­stä­tigt. Nach west­li­cher Ein­schät­zung ist das Ur­teil zu­min­dest zwei­fel­haft, denn wich­ti­ge Do­ku­men­te wur­den vom Ge­richt nicht be­rück­sich­tigt. An­de­rer­seits wäre nun der Weg für eine Klage vor dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te frei. Der Tür­kei­ex­per­te und Lei­ter der Fach­stel­le Men­schen­rech­te beim ka­tho­li­schen Hilfs­werk „mis­sio“ in Aa­chen, Otmar Oeh­ring, spricht der Tür­kei in Zu­sam­men­hang mit die­sem Ur­teil gar die Rechts­staat­lich­keit ab:
 
„Weil es ein ty­pi­sches und des­halb auch zu er­war­ten­des Ur­teil des Kas­sa­ti­ons­ge­richts in An­ka­ra war, wel­ches sich nicht auf das Recht stützt, son­dern wel­ches ganz of­fen­sicht­lich ein po­li­ti­sches Ur­teil ist, das na­tür­lich auch von staat­li­chen Be­hör­den so ge­wollt war. Wenn in der Tür­kei Rechts­staat­lich­keit herr­schen würde, dann hätte die­ses Ge­richt sich na­tür­lich auch auf die vor­ge­leg­ten Do­ku­men­te stüt­zen müs­sen.“
 
Auch in Deutsch­land hat der Fall be­reits für Auf­se­hen ge­sorgt. Da das sy­risch-or­tho­do­xe Klos­ter in der Tür­kei zu einer re­li­giö­sen Min­der­heit ge­hört, blickt Erz­bi­schof Schick mit Sorge auf das Ur­teil. Es gebe ein „be­denk­li­ches Si­gnal an die christ­li­che Min­der­heit“. Mor Ga­bri­el gilt als geist­li­ches Zen­trum für rund 3.000 sy­risch-or­tho­do­xe Chris­ten im Süd­os­ten der Tür­kei. Auch Po­li­ti­ker wie Erika Stein­bach von der CDU schal­ten sich in die Dis­kus­si­on mit der Ver­mu­tung ein, dass die Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts in An­ka­ra po­li­tisch mo­ti­viert ge­we­sen sei. Otmar Oeh­ring be­stä­tigt uns, dass der Fall als ex­trem kom­plex an­zu­se­hen ist. So seien nicht nur die auf dem be­trof­fe­nen Land­stück an­ge­sie­del­ten Dör­fer in den Kon­flikt ver­wi­ckelt.
 
„Es geht darum, dass diese drei Dör­fer prak­tisch einem kur­di­schen Stam­mes­füh­rer ge­hö­ren und die­ser ein In­ter­es­se dran hatte, die Land­flä­chen des Klos­ters zu be­kom­men. Er ist gleich­zei­tig Ab­ge­ord­ne­ter der re­gie­ren­den AKP im tür­ki­schen Par­la­ment ge­we­sen. Und da spielt dann wie­der­um noch eine Rolle, dass der tür­ki­sche Staat ein In­ter­es­se an der be­vor­zug­ten Be­hand­lung be­stimm­ter kur­di­scher Stam­mes­füh­rer hat, die im Bür­ger­krieg zwi­schen der PKK und der tür­ki­schen Re­pu­blik dem tür­ki­schen Staat so­ge­nann­te Dorf­wäch­ter zur Ver­fü­gung ge­stellt haben.“
 
Bei den Dorf­wäch­tern hand­le es sich um eine pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Ein­heit, die, meist un­frei­wil­lig, von ihren Feu­dal­her­ren, den Stam­mes­füh­rern, im Bür­ger­krieg für den tür­ki­schen Staat ein­ge­setzt wur­den.
 
„Man darf nun ver­mu­ten, dass diese Ge­men­ge­la­ge dazu ge­führt hat, dass es ein gro­ßes In­ter­es­se von staat­li­cher Seite gab, die­sen Pro­zess auf jeden Fall nicht zu Un­guns­ten des Klä­gers, in die­sem Fall die­ses Stam­mes­füh­rers und der von ihm mit dem Pro­zess be­auf­trag­ten Dör­fer, kom­men zu las­sen.“
 
Wie Oeh­ring be­rich­tet, kam es im Vor­feld des Be­ru­fungs­ur­teils zu ver­schie­de­nen Ver­su­chen durch das tür­ki­sche Par­la­ment, zu einer güt­li­chen Ei­ni­gung zu kom­men und dem Klä­ger gleich­wer­ti­ge Land­flä­chen aus tür­ki­schem Staats­be­sitz zu über­tra­gen. Of­fen­sicht­lich sei eine der­ar­ti­ge Ei­ni­gung aber nicht zu­stan­de ge­kom­men. Den­noch – auch wenn das Klos­ter den Fall zu­nächst ver­lo­ren hat, könne man ihn als Chan­ce in Bezug auf die Men­schen­rech­te der sy­risch-or­tho­do­xen Min­der­heit sehen.

 „Wir haben jetzt eben zu­nächst ein­mal das ne­ga­ti­ve Ur­teil, das aber in sich na­tür­lich auch wie­der eine große Hoff­nung für das Klos­ter und auch für die sy­risch-or­tho­do­xe Ge­mein­schaft in der Tür­kei in sich birgt, weil damit nun der Weg nach Straß­burg und zum Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­ge­richts­hof er­öff­net ist.“

 Hin­ter­grund

In dem lang­wie­ri­gen Rechts­streit des sy­risch-or­tho­do­xen Klos­ters Mor Ga­bri­el in Süd­ost­ana­to­li­en gegen das Schatz­amt der Tür­kei ging es um die Be­sitz­rech­te an 28 Hekt­ar Land in der Um­ge­bung des Klos­ters. Das Schatz­amt war in ers­ter In­stanz vor Ge­richt un­ter­le­gen, weil das Klos­ter nach­wei­sen konn­te, dass es seit 1937 Steu­ern auf den Land­be­sitz ge­zahlt hatte. Das Be­ru­fungs­ge­richt in An­ka­ra be­rück­sich­ti­ge al­ler­dings die ent­spre­chen­den Steu­er­be­le­ge nicht, weil die Do­ku­men­te an­geb­lich ver­lo­ren­ge­gan­gen waren. Das Klos­ter hatte sie zwar er­neut bei Ge­richt ein­ge­reicht, un­ter­lag nun je­doch vor der Gro­ßen Kam­mer des Be­ru­fungs­ge­richts. Nun werde ein Ein­spruch vor dem Ver­fas­sungs­ge­richt oder vor dem Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­ge­richts­hof ge­prüft, heißt es.

(rv/dom­ra­dio 12.07.2012 db/cs)

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