Freitag, 27. Juli 2012

Urteil gegen orthodoxe Christen

2.07.2012


Ein türkisches Berufungsgericht spricht dem syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel 28 Hektar Land ab. Ein Anwalt will das Urteil anfechten.von Jürgen Gottschlich

Demonstration gegen die Enteignung des Klosters Mor Gabriel in Köln 2009.  Bild:  dapd

ISTANBUL taz | Das Kloster Mor Gabriel ist eine imposante Erscheinung. Mitten in einer ausgedörrten, scheinbar menschenleeren Gegend, erhebt es sich auf einem Hügel ungefähr zehn Kilometer entfernt von der nächsten Kleinstadt Midiyat im Südosten der Türkei. Aus sandsteinfarbigen, massiven Quadern erbaut, hat das 1.600 Jahre alte Kloster (erbaut 397 n. Chr.) etwas von einer Festung, auch wenn heute der Einlass für Besucher geöffnet und die wehrhafte Phase von Mor Gabriel lange vorbei ist. 

Obwohl dem Klosters schon lange keine feindliche Belagerung mehr droht, sehen die syrisch-orthodoxen Christen der Türkei ihr heiliges Zentrum dennoch in seiner Existenz bedroht. Der Grund ist ein Urteil des obersten türkischen Berufungsgerichts (Yargitay) in dieser Woche, das dem Kloster seine umliegenden Ländereien abgesprochen und dem staatlichen Schatzamt zugesprochen hat. Es geht um 28 Hektar Land, die seit Jahrhunderten zum Kloster gehörten. Allerdings sind die Katasterunterlagen strittig, was vordergründig zu dem Rechtsstreit geführt hat, der jetzt vorläufig entschieden wurde.
 
Der Hintergrund des Streits ist komplizierter und hat mit der Situation der syrisch-orthodoxen Christen der Türkei insgesamt zu tun. Das Kloster Mor Gabriel liegt im Zentrum des Tur Abdin (Berg der Knechte Gottes), einer Hügellandschaft unweit der syrischen Grenze, die noch vor einigen Jahrzehnten überwiegend von syrisch-orthodoxen Christen bewohnt wurde. 

Doch angefangen von der Vertreibung und Ermordung der Armenier (1915 bis 1918), denen auch viele syrische Christen zum Opfer fielen, bis hin zu den Kämpfen zwischen Kurden und Armee, bei denen die Dörfer der Christen häufig zwischen die Fronten gerieten, nahm die Zahl der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin kontinuierlich ab. 

Viele wanderten nach Syrien und in den Libanon ab, noch mehr gingen nach Europa. Rund 3.000 Seelen sind zurückgeblieben. Viele Dörfer verwaisten, auch die meisten Felder des Klosters, in dem nur noch eine kleine Zahl von Mönchen den Betrieb aufrecht erhält, lagen brach.


Gemeinde wehrt sich vor Gericht


Das weckte zunächst die Begehrlichkeit umliegender kurdischer Dörfer und später des Schatzamts. Gegen die drohende Enteignung und feindliche Übernahme durch Nachbardörfer wehrte sich die syrisch-orthodoxe Gemeinde vor Gericht. Dabei werden die vor Ort Gebliebenen von den Ausgewanderten finanziell, aber auch juristisch und moralisch unterstützt. Viele schicken auch ihre Kinder im Sommer nach Mor Gabriel, damit diese Aramäisch lernen, die Sprache Jesu, die in den Gemeinden im Tur Abdin nach wie vor als Liturgiesprache benutzt wird. 

Nach zwischenzeitlichen Erfolgen vor Gericht ist das Yargitay-Urteil ein herber Rückschlag. Der Anwalt des Klosters, Rudi Sümer, sagte, nun werde geprüft, ob man vor das türkische Verfassungsgericht oder das Europäische Menschenrechtsgericht in Straßburg ziehen werde. Auf jeden Fall werde das Urteil angefochten. 

Auch aus Deutschland kamen Proteste. Die Vorsitzende der CDU-Arbeitsgruppe für Menschenrechte, Erika Steinbach, die sich nach den deutschen Vertriebenen vor allem der türkischen Christen annimmt, hält das Urteil für einen gefährlichen Schritt hin zum Untergang des Klosters. Und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sieht erneut „ein bedenkliches Signal an die christlichen Minderheiten der Türkei“. 

Auch der türkischen Regierung dürfte das Urteil eher ungelegen kommen. Sie hatte in den letzten Jahren für eine Rückkehr syrisch-orthodoxer Familien geworben. Auch in der türkischen Öffentlichkeit stieß das Urteil auf heftige Kritik. In einem Aufruf linker und liberaler Intellektueller, den über 300 Leute unterzeichneten, heißt es: „Wir wollen mit den syrisch-orthodoxen Christen zusammenleben. Das Urteil erweckt den falschen Eindruck, dass diese Menschen im Land unerwünscht wären.“
taz.de

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