Ein
türkisches Berufungsgericht spricht dem syrisch-orthodoxen Kloster Mor
Gabriel 28 Hektar Land ab. Ein Anwalt will das Urteil anfechten.
ISTANBUL taz | Das Kloster Mor Gabriel ist
eine imposante Erscheinung. Mitten in einer ausgedörrten, scheinbar
menschenleeren Gegend, erhebt es sich auf einem Hügel ungefähr zehn
Kilometer entfernt von der nächsten Kleinstadt Midiyat im Südosten der
Türkei. Aus sandsteinfarbigen, massiven Quadern erbaut, hat das 1.600
Jahre alte Kloster (erbaut 397 n. Chr.) etwas von einer Festung, auch
wenn heute der Einlass für Besucher geöffnet und die wehrhafte Phase von
Mor Gabriel lange vorbei ist.
Obwohl dem Klosters schon lange keine
feindliche Belagerung mehr droht, sehen die syrisch-orthodoxen Christen
der Türkei ihr heiliges Zentrum dennoch in seiner Existenz bedroht. Der
Grund ist ein Urteil des obersten türkischen Berufungsgerichts
(Yargitay) in dieser Woche, das dem Kloster seine umliegenden Ländereien
abgesprochen und dem staatlichen Schatzamt zugesprochen hat. Es geht um
28 Hektar Land, die seit Jahrhunderten zum Kloster gehörten. Allerdings
sind die Katasterunterlagen strittig, was vordergründig zu dem
Rechtsstreit geführt hat, der jetzt vorläufig entschieden wurde.
Der Hintergrund des Streits ist komplizierter
und hat mit der Situation der syrisch-orthodoxen Christen der Türkei
insgesamt zu tun. Das Kloster Mor Gabriel liegt im Zentrum des Tur Abdin
(Berg der Knechte Gottes), einer Hügellandschaft unweit der syrischen
Grenze, die noch vor einigen Jahrzehnten überwiegend von
syrisch-orthodoxen Christen bewohnt wurde.
Doch angefangen von der Vertreibung und
Ermordung der Armenier (1915 bis 1918), denen auch viele syrische
Christen zum Opfer fielen, bis hin zu den Kämpfen zwischen Kurden und
Armee, bei denen die Dörfer der Christen häufig zwischen die Fronten
gerieten, nahm die Zahl der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin
kontinuierlich ab.
Viele wanderten nach Syrien und in den
Libanon ab, noch mehr gingen nach Europa. Rund 3.000 Seelen sind
zurückgeblieben. Viele Dörfer verwaisten, auch die meisten Felder des
Klosters, in dem nur noch eine kleine Zahl von Mönchen den Betrieb
aufrecht erhält, lagen brach.
Gemeinde wehrt sich vor Gericht
Das weckte zunächst die Begehrlichkeit umliegender kurdischer Dörfer
und später des Schatzamts. Gegen die drohende Enteignung und feindliche
Übernahme durch Nachbardörfer wehrte sich die syrisch-orthodoxe Gemeinde
vor Gericht. Dabei werden die vor Ort Gebliebenen von den
Ausgewanderten finanziell, aber auch juristisch und moralisch
unterstützt. Viele schicken auch ihre Kinder im Sommer nach Mor Gabriel,
damit diese Aramäisch lernen, die Sprache Jesu, die in den Gemeinden im
Tur Abdin nach wie vor als Liturgiesprache benutzt wird.
Nach zwischenzeitlichen Erfolgen vor
Gericht ist das Yargitay-Urteil ein herber Rückschlag. Der Anwalt des
Klosters, Rudi Sümer, sagte, nun werde geprüft, ob man vor das türkische
Verfassungsgericht oder das Europäische Menschenrechtsgericht in
Straßburg ziehen werde. Auf jeden Fall werde das Urteil angefochten.
Auch aus Deutschland kamen Proteste. Die
Vorsitzende der CDU-Arbeitsgruppe für Menschenrechte, Erika Steinbach,
die sich nach den deutschen Vertriebenen vor allem der türkischen
Christen annimmt, hält das Urteil für einen gefährlichen Schritt hin zum
Untergang des Klosters. Und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick
sieht erneut „ein bedenkliches Signal an die christlichen Minderheiten
der Türkei“.
Auch der
türkischen Regierung dürfte das Urteil eher ungelegen kommen. Sie hatte
in den letzten Jahren für eine Rückkehr syrisch-orthodoxer Familien
geworben. Auch in der türkischen Öffentlichkeit stieß das Urteil auf
heftige Kritik. In einem Aufruf linker und liberaler Intellektueller,
den über 300 Leute unterzeichneten, heißt es: „Wir wollen mit den
syrisch-orthodoxen Christen zusammenleben. Das Urteil erweckt den
falschen Eindruck, dass diese Menschen im Land unerwünscht wären.“
taz.de
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen