Montag, 25. Februar 2013

Syrien: Vertrieben und ermordet


21.02.2013
Von: Amill Gorgis

 Syrien ist die Wiege der Zivilisation. Seine Städte und historischen Plätze sind älter als die Zeit, in der Abraham, Vater des Glaubens, noch lebte. An vielen Orten begegnet uns die Geschichte der Sumerer, Phönizier, Hethiter, Aramäer, Assyrer, Römer, Griechen und verschiedener islamischer Dynastien. Auch wenn heute über 70 Prozent der Einwohner Syriens Muslime sunnitischen Glaubens sind, so ist Syrien doch in seiner Zusammensetzung ein multi-ethnischer und -religiöser Staat. Trotz des autokratisch geführten Regierungssystems besaßen alle diese Ethnien und religiösen Gruppen in den letzten Jahrzehnten ihre Nischen, in denen sie sich bis zu einem gewissen Grad entfalten konnten, solange sie das bestehende politische System nicht in Frage stellten.

Politische Veränderungen waren nötig und geboten. Der autokratisch  geführte Machtapparat von Assad, der schon 2011 auf friedliche Demonstranten schießen ließ, war erst zu Zugeständnissen bereit, nachdem sich ein Teil der Opposition für den bewaffneten Widerstand entschieden hatte. So haben wir heute in Syrien zwei gleichstarke Kräfte, die einander unbarmherzig bekämpfen. Zusätzlich sind kampferprobte und gut organisierte Dschihadisten aus allen Teilen der islamischen Welt nach Syrien gekommen und nutzen den Willen der Bevölkerung zu mehr Freiheit und Demokratie aus, um mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln eine islamische Republik zu errichten.

Christen und andere religiöse Minderheiten aus den Teilen Syriens, die unter dem Einfluss der Islamisten stehen, werden aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben. So mussten die Christen aus Ras al Ain und Derbesjie im Norden Syriens ihre Städte verlassen. Einige waren noch im Schlafanzug, als die Extremisten kamen und durften sich nicht einmal umziehen. Sie sind Nachfahren jener Christen, die sich nach dem Völkermord 1915 im Osmanischen Reich dort niedergelassen hatten. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass hundert Jahre nach jenem Völkermord, dessen Erinnerung unter den Christen vor Ort immer gegenwärtig ist, die Nachfahren der Opfer das gleiche Schicksal vor Augen haben.

Vereinzelt kommt es zu Vergewaltigungen und zu Entführungen von bekannten oder wohlhabenden christlichen Personen, für deren Freilassung die Entführer hohe Geldbeträge fordern. Es gelingt nicht immer, diese Summen aufzubringen. So war es im Fall eines christlichen Zahnarztes in einem Vorort von Homs. Dort ging das Gerücht um, er habe sich 50 Millionen Lire von der Bank geliehen, um sich eine neue Praxis aufzubauen. Die Islamisten hörten davon, entführen ihn und teilten mit, dass sie ihn erst nach der Übergabe der 50 Millionen Lire freilassen würden. Der Arzt hatte sich aber gar nicht 50, sondern nur 15 Millionen geliehen. Die Familie wusste nicht, wie sie den Rest aufbringen sollte. Die ganze Gemeinde im Ort legte zusammen, aber nicht einmal die Hälfte kam zusammen. Jemand sollte den Entführern das Geld bringen und mit ihnen reden. Nur der Pfarrer der Gemeinde war dazu bereit. Die Entführer erschossen ihn, nachdem sie ihm vorher die Augen herausgerissen hatten und schickten die Leiche zurück in die Gemeinde. Kaum vorstellbar, wie hilflos sich die Christen im Ort fühlen müssen.

Solche Berichte, die kursieren, machen Christen in Syrien Angst. Sie verlieren das Vertrauen, in ihrem Land in Frieden leben zu können. Viele wollen auswandern. Die Bilder von Krieg und Gewalt aus dem Nachbarland Irak und die Entwicklung, die dort seit zehn Jahren stattfindet, ist nun auch in Syrien Realität geworden. Es ist zu befürchten, dass dies über Jahre Alltag im Mittleren und Nahen Osten sein wird.
Die Vertreter aller christlichen Konfessionen haben sehr früh und eindeutig Position bezogen, indem sie Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ablehnen und ächten. Syrien wird diese Krise aus eigener Kraft nicht bewältigen können. Die Weltgemeinschaft muss mit allen ihren gebotenen Möglichkeiten versuchen, der Gewalt in diesem Land Einhalt zu gebieten und auf eine friedliche Lösung drängen.

Amill Gorgis ist Ökumene-Beauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Berlin.

Evangelische Kirchenzeitung: die-kirche.de 

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