2. Juli 2013, 05:30
foto: bernath/standard
Die
Türme von Mor Gabriel im Südosten der Türkei. Der Metropolit, zwei
Dutzend Nonnen, Mönche und Arbeiter leben im Kloster der alten
syrisch-orthodoxen Kirche.
Ein absurd anmutender Rechtsstreit belastet das Verhältnis zwischen dem türkischen Staat und seinen christlichen Minderheiten: Mor Gabriel, ein Kloster aus dem vierten Jahrhundert, soll illegal Land besetzen.
Ein absurd anmutender Rechtsstreit belastet das Verhältnis zwischen dem türkischen Staat und seinen christlichen Minderheiten: Mor Gabriel, ein Kloster aus dem vierten Jahrhundert, soll illegal Land besetzen.
Unter
einem Wald stellt sich der Europäer gemeinhin etwas anderes vor, aber
um den "Wald" dreht sich alles hier, weit im Südosten der Türkei, in der
kargen Landschaft des Tur Abdin, des Berges der Knechte Gottes, wo das
Kloster Mor Gabriel liegt.
Die Papierservietten auf dem Kaffeehaustisch gehen schon aus, auf denen Kuryakos Ergün den "Wald" aufmalt, um den im nun im sechsten Jahr in Folge prozessiert wird: rund 50 Hektar Busch, Oliven- und Obstbäume, innerhalb der Mauern von Mor Gabriel und außerhalb des Klosters, dazwischen viel hellbraune Steinwüste.
Es sieht ein bisschen aus wie Jackson Pollock, was Kuryakos Ergün, der Chef der Mor-Gabriel-Stiftung, aufmalt. Ein abstraktes Gemenge mit Blasen und Kreisen, zu dem das Oberste Berufungsgericht der Türkei im Juni 2012 sein letztes Wort gesprochen hat: Das Kloster Mor Gabriel (Heiliger Gabriel), eines der wichtigsten Zentren der syrisch-orthodoxen Kirche, besetzt illegal seinen Grund und Boden. Denn "Wald" ist in der Türkei Staatseigentum.
Die Causa liegt mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, unterstützt von einer Reihe von Parlamenten in der EU, darunter auch dem österreichischen Nationalrat. Denn die richterliche Entscheidung von der "Landbesetzung" scheint einigermaßen absurd: Mor Gabriel, 397 nach Christus gegründet, war schon da, als es weder die Türkei noch die Seldschuken gab, die dann aus Zentralasien ihren Eroberungsfeldzug nach Anatolien antraten (Schlacht von Manzikert 1071).
150.000 Gläubige der syrisch-orthodoxen Kirche, in der noch Aramäisch gesprochen wird, haben in den 1970er-Jahren um die Stadt Midyat im Tur Abdin gelebt, sagt Kuryakos Ergün; zwischen 2000 und 3000 sind es heute nur noch. "Wenn Sie die Gründe dafür verstehen, dann verstehen Sie auch, warum nun auf Mor Gabriel herumgehackt wird. Niemand verlässt ohne Grund willentlich sein Land."
Der Rechtsstreit um das Kloster bleibt in diesen Wochen des gesellschaftlichen Aufruhrs und Umbruchs in der Türkei ein Symbol für das schwierige Verhältnis des Staates zu den christlichen Minderheiten im Land. In bald elf Jahren an der Macht tat die konservativ-islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) mehr für Nichtmuslime als die Vorgängerregierungen. Doch dann wiederum sind es oft halbherzige Schritte aus Furcht vor der sunnitisch-nationalistischen Stammwählerschaft, die mit Argwohn jedes Zugeständnis an die Christen verfolgt.
Und über allem hängt der Verdacht, die AKP gebe den christlichen Minderheiten nur deshalb Rechte zurück, um der 95-Prozent-Religion Islam in der rechtlich laizistischen Türkei noch mehr Geltung im Alltag zu verschaffen. Der Prozess gegen Mor Gabriel, angestrengt von drei Dörfern in der Umgebung des Klosters, die den Grund beanspruchen, ist kompliziert. Einmal geht es um 276 Dönüm, etwa 25,4 Hektar, innerhalb der Klostermauern; diesen Prozess verlor die Klosterstiftung bereits 2009. In einem anderen Verfahren wird Mor Gabriel eine 244 Dönüm (22,4 ha) große Fläche außerhalb der Mauern strittig gemacht; diesen Prozess gewann das Kloster zunächst gegen das türkische Finanzministerium, dem die "Wälder" als Eigentum unterstehen. In zwei weiteren Verfahren geht es um die Klostermauer selbst und um leeres Land zwischen Mor Gabriel und den Dörfern.
Eine neue Straße will der Kaymakan noch in den nächsten Wochen bauen lassen, damit mehr Touristen zum Kloster fahren können. Zum Abschied verschenkt er drei Wunderkugeln mit Nachbildungen von Mor Gabriel und einem Minarett neben einem Kirchturm. "Der Streit ums Land wird beigelegt", versichert er. Man muss nur die Kugeln schütteln, dann rieseln die Glitzersternchen.
(Markus Bernath, DER STANDARD, 1.7.2013)
derstandard.at/
Die Papierservietten auf dem Kaffeehaustisch gehen schon aus, auf denen Kuryakos Ergün den "Wald" aufmalt, um den im nun im sechsten Jahr in Folge prozessiert wird: rund 50 Hektar Busch, Oliven- und Obstbäume, innerhalb der Mauern von Mor Gabriel und außerhalb des Klosters, dazwischen viel hellbraune Steinwüste.
Es sieht ein bisschen aus wie Jackson Pollock, was Kuryakos Ergün, der Chef der Mor-Gabriel-Stiftung, aufmalt. Ein abstraktes Gemenge mit Blasen und Kreisen, zu dem das Oberste Berufungsgericht der Türkei im Juni 2012 sein letztes Wort gesprochen hat: Das Kloster Mor Gabriel (Heiliger Gabriel), eines der wichtigsten Zentren der syrisch-orthodoxen Kirche, besetzt illegal seinen Grund und Boden. Denn "Wald" ist in der Türkei Staatseigentum.
Die Causa liegt mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, unterstützt von einer Reihe von Parlamenten in der EU, darunter auch dem österreichischen Nationalrat. Denn die richterliche Entscheidung von der "Landbesetzung" scheint einigermaßen absurd: Mor Gabriel, 397 nach Christus gegründet, war schon da, als es weder die Türkei noch die Seldschuken gab, die dann aus Zentralasien ihren Eroberungsfeldzug nach Anatolien antraten (Schlacht von Manzikert 1071).
150.000 Gläubige der syrisch-orthodoxen Kirche, in der noch Aramäisch gesprochen wird, haben in den 1970er-Jahren um die Stadt Midyat im Tur Abdin gelebt, sagt Kuryakos Ergün; zwischen 2000 und 3000 sind es heute nur noch. "Wenn Sie die Gründe dafür verstehen, dann verstehen Sie auch, warum nun auf Mor Gabriel herumgehackt wird. Niemand verlässt ohne Grund willentlich sein Land."
Der Rechtsstreit um das Kloster bleibt in diesen Wochen des gesellschaftlichen Aufruhrs und Umbruchs in der Türkei ein Symbol für das schwierige Verhältnis des Staates zu den christlichen Minderheiten im Land. In bald elf Jahren an der Macht tat die konservativ-islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) mehr für Nichtmuslime als die Vorgängerregierungen. Doch dann wiederum sind es oft halbherzige Schritte aus Furcht vor der sunnitisch-nationalistischen Stammwählerschaft, die mit Argwohn jedes Zugeständnis an die Christen verfolgt.
Und über allem hängt der Verdacht, die AKP gebe den christlichen Minderheiten nur deshalb Rechte zurück, um der 95-Prozent-Religion Islam in der rechtlich laizistischen Türkei noch mehr Geltung im Alltag zu verschaffen. Der Prozess gegen Mor Gabriel, angestrengt von drei Dörfern in der Umgebung des Klosters, die den Grund beanspruchen, ist kompliziert. Einmal geht es um 276 Dönüm, etwa 25,4 Hektar, innerhalb der Klostermauern; diesen Prozess verlor die Klosterstiftung bereits 2009. In einem anderen Verfahren wird Mor Gabriel eine 244 Dönüm (22,4 ha) große Fläche außerhalb der Mauern strittig gemacht; diesen Prozess gewann das Kloster zunächst gegen das türkische Finanzministerium, dem die "Wälder" als Eigentum unterstehen. In zwei weiteren Verfahren geht es um die Klostermauer selbst und um leeres Land zwischen Mor Gabriel und den Dörfern.
Pacht als Angebot
Den Grund, auf dem das Kloster selbst steht, fechten Finanzministerium und Dorfbewohner nicht an. Doch mit dem Verlust der weiten Baumflächen hätte Mor Gabriel keine Lebensgrundlage mehr, argumentiert die Stiftung. Ahmet Davutoglu, der - bezeichnenderweise - als Außenminister der Regierung die Kontakte zu den nichtmuslimischen Minderheiten unterhält, hatte angeboten, das Kloster könne die Flächen vom Staat pachten. "Unmöglich", meint Kuryakos Ergün, "sie sind unser Eigentum.""Wichtiger als jede Moschee"
Aber dann gibt es wiederum auch Oguzhan Bingöl, den freundlichen Kaymakan von Midyat, den Präfekten der Region. Die Türken fühlen sich ein wenig unwohl über die Berichterstattung zu Mor Gabriel in den westlichen Medien, sagt er. "Sie zeigen uns so, als ob wir muslimische Eroberer sind." Zehnmal mehr Land würde er dem Kloster noch geben, wenn es nach ihm ginge, sagt Bingöl. "Ich bin Muslim, aber mein Ideal ist die positive Diskriminierung von Minderheiten. Mor Gabriel ist der größte Wert, den diese Region hat. Für Midyat ist es wichtiger als jede Moschee hier."Eine neue Straße will der Kaymakan noch in den nächsten Wochen bauen lassen, damit mehr Touristen zum Kloster fahren können. Zum Abschied verschenkt er drei Wunderkugeln mit Nachbildungen von Mor Gabriel und einem Minarett neben einem Kirchturm. "Der Streit ums Land wird beigelegt", versichert er. Man muss nur die Kugeln schütteln, dann rieseln die Glitzersternchen.
(Markus Bernath, DER STANDARD, 1.7.2013)
foto: bernath/standard
Heile
Welt unter Glas: Für die Kleinstadt Midyat ist das Kloster ein
Tourismusgeschäft. 130.000 Besucher kamen im vergangenen Jahr, darunter
viele Muslime.
derstandard.at/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen