Von der Türkei nach Delmenhorst
22. Dezember 2013
Iskender Celik ist einer von rund 2.500 Aramäern, die in Delmenhorst leben. Er ist ein syrisch-orthodoxer Christ, der seine Heimat im Osten der Türkei verlassen hat. Denn Aramäer wurden dort als religiöse Minderheit immer wieder von Muslimen verfolgt. Für das staatenlose Volk der Aramäer ist ihre Kirche, ihre Religion Heimat. In einem buten-un-binnen-Extra lernen wir Iskender Celiks Großfamilie kennen.
Der Glaube ist Andreas Celik sehr wichtig.
Die Religion als Heimat
Ganz langsam füllt sich die Kirche, für die Gemeindemitglieder gibt es quasi eine Gleitzeit. Nach und nach trudeln alle ein. Auch Andreas Celik und sein Vater Iskender sind unter den Besuchern. Für die Familie Celik ist der Gottesdienst selbstverständlich. Wie es der Brauch vorschreibt, sitzen die Männer getrennt von den Frauen der Familie. Das gehört einfach dazu. Auch für Celik Junior:"Religion ist mir sehr wichtig. Für mich ist es das Wichtigste. Ältere gehen dreimal am Tag in die Kirche. Aber wir Jugendlichen leider nicht mehr, wir beten vorm Essen und Schlafen."Eltern haben einen kleinen Imbiss
Andreas Celik arbeitet als Handwerker. Der 47-Jährige ist ständig im Außeneinsatz, zum Beispiel besucht er Aramäer wie den Gastwirt Johannes, aber die meisten seiner Kunden sind Deutsche."Wir haben so ziemlich die gleiche Kultur mit den Deutschen durch den christlichen Glauben, den wir haben. Deswegen haben wir da auch keine Hemmungen und keine Kontaktschwierigkeiten", erklärt Andreas Celik. Feierabend hat er eigentlich nie. Nur zwischendurch fährt Andreas Celik mal nach Hause. Er wohnt mit seiner Familie im Haus der Eltern. Die haben einen kleinen Imbiss, den Johannes-Grill.
Iskender Celik kam 1969 als erster aramäischer Gastarbeiter nach Delmenhorst zu Nordwolle. Bald darauf wechselte er in eine Schlachterei und machte sich schließlich selbständig. Er holte seine Familie bald nach. Zurück ließen die Celiks ihr Haus in der Heimat. Es liegt im Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze.
Sieben Kilometer von Midyat entfernt steht das kleine Dorf Mizizah. Anfang der 70er Jahre lebten hier einmal mehr als 200 aramäische Familien, heute sind es gerade einmal zehn.
Familie Celik leidet unter Schicksal der Vorfahren
Während des Ersten Weltkrieges wurden die Christen vom türkischen Staat verfolgt. Sie sollten zum Islam konvertieren. In den 1980er Jahren gerieten die Aramäer im Kurdenkonflikt zwischen die Fronten – und flüchteten in die ganze Welt. Bis heute ist die religiöse Minderheit nicht als solche in der Türkei anerkannt. Familie Celik leidet unter dem traurigen Schicksal ihrer Vorfahren. "Viele von uns sind umgekommen, Kinder, Frauen, einfach alle", erzählt Fahima Celik und schaut dabei traurig in die alten Fotoalben mit Bildern aus der Heimat.
Das Dorf der Familie Celik liegt im Osten der Türkei und heißt Mizizah.
Kinder lernen die aramäische Sprache wieder
Die St. Johannes Kirche ist jeden Sonntag voll und nicht nur zu Weihnachten. Hier treffen sich alle – Kinder, Jugendliche, ihre Eltern und Großeltern. Um den Gottesdienst zu verstehen und die vielen Lieder mitsingen zu können, müssen die jungen Leute erst einmal Aramäisch lernen. Im Grundschulalter starten die Kinder mit dem Aramäisch-Unterricht. Jeden Tag pauken sie anderthalb Stunden lang – am Nachmittag nach der normalen Schule. Sie kommen freiwillig, mit sanftem Druck der Eltern.Die arabischen Schriftzeichen sind für alle erstmal eine Herausforderung. Wenn die Jungen "Jesus' Sprache" beherrschen, dürfen sie als Messdiener helfen und die Mädchen dem Chor beitreten. Sprache, Religion und Traditionen wie das spezielle Chorgewand machen ihre Identität aus.
Sitz des Erzbischofs in Delmenhorst
Erzbischof Julius Hanna Aydin vertritt die syrisch-orthodoxe Kirche in Deutschland. Er ist ein weltoffener Mann, hat katholische Theologie und Islamwissenschaften studiert und über den Buddhismus doziert. Im Delmenhorster Bischofssitz diskutiert er mit Mitgliedern der Gemeinde. Zum Beispiel, wie ihr Verhältnis zu Türken in Deutschland ist und wie sich die Lage der Christen in der Türkei verändert hat. "Die geben uns viel mehr Freiheit als früher in meiner Zeit. Elf Monate lang haben sie mir keinen Pfenning Lohn gegeben, weil ich Christ war, obwohl ich zweimal angeklagt habe. Jetzt ist es viel besser in der Türkei für die Christen", berichtet Erzbischof Julius Hanna Aydin aus der vergangenen Zeit.Der Bischof ist auch mit den Celiks gut bekannt. Die Familie ist schließlich so etwas wie die Altvorderen der Gemeinde. Durch das Ehepaar kam fast das gesamte Dorf Mizizah nach Delmenhorst. Sie waren die ersten Aramäer in der Stadt und haben sich mittlerweile in der Nachbarschaft bestens integriert.
Weihnachtsgans als Brauch übernommen
Auch bei der Familie Celik gibt es ein großes Weihnachtsessen. Mit aramäischen und deutschen Spezialitäten.
radiobremen.de
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