Freitag, 10. Juni 2011

Erster Christ auf dem Weg ins Parlament

Istanbul (kna) Wenn am Sonntag gewählt wird in der Türkei, dann könnte erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder ein Christ ins türkische Parlament einziehen. Der Aramäer Erol Dora, ein 47-jähriger Rechtsanwalt, hat gute Chancen, als unabhängiger Kandidat aus dem südostanatolischen Mardin direkt ein Mandat zu bekommen. Dora, dessen Kandidatur von der Kurdenpartei BDP unterstützt wird, würde damit zum ersten christlichen Abgeordneten in der Volksvertretung in Ankara seit dem Militärputsch von 1960.

Im Vorfeld der Wahlen hatte es einen noch nie dagewesenen Ansturm christlicher Kandidaten auf die Listen der Parteien gegeben. Insbesondere bei der religiös-konservativen AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatten sich mehrere Christen um einen Listenplatz beworben, darunter ein Aramäer, zwei Armenier und ein griechisch-orthodoxer Christ. Je ein Armenier bewarb sich auch bei der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP.

Dass die christlichen Bewerber es letztlich nicht aus dem Feld der mehr als 10 000 Bewerber unter die 1500 Kandidaten der drei großen Parteien schafften, erklärt der aramäische Christ Markus Ürek, der sich vergeblich um eine Kandidatur für die AKP bewarb, eher mit technischen Gründen als mit religiösen Vorurteilen: "Erdogan kannte mich wohl einfach nicht gut genug, um mich aufzustellen", sagt Ürek. Dennoch unterstütze er die AKP weiterhin – als die beste Partei für die christlichen Minderheiten.

Allein die Bewerbungen der türkischen Christen bei den Parteien betrachten Beobachter wie der Soziologe Ayhan Aktar von der Istanbuler Bilgi-Universität als Indiz für ihr gestiegenes Selbstbewusstsein in der türkischen Republik. "Es gibt eine Annäherung zwischen dem Staat und den Minderheiten", sagt Aktar. "Die Minderheiten fühlen sich heute wohler in der Politik."

Wesentlich beigetragen zu dieser Entwicklung haben auch zwei Personalentscheidungen der Regierung in diesem Jahr. Europaminister Egemen Bagis berief einen armenischen Christen in sein Ministerium; wenig später trug das Außenministerium einem Armenier den Posten des OECD-Botschafters an. Und auch sonst hat das Kabinett Erdogan bei den Christen punkten können: In gleich mehreren Kirchen und Klöstern verschiedener christlicher Konfessionen durfte erstmals seit Jahrzehnten wieder Gottesdienst gefeiert werden.

zuletzt aktualisiert: 10.06.2011 - 02:30
Quelle: RP / nachrichten.rp-online.de

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