İpek Yezdani / 27. September
2012
Eine interessante, kleine Nachricht kommt aus dem
Südosten der Türkei. Der kurdische Bürgermeister von Diyarbakir hat alle
Nachfahren der Aramäer, Chaldäer und Armenier dazu aufgerufen, in seine Stadt
zurückzukehren, wenn sie mögen.
Osman Baydemir, selbst Kurde, erinnerte gar an die
Massaker und Vertreibungen, die ab 1915 gegen die christlichen Minderheiten der
kurdischen Türkei (damals noch Teil des Osmanischen Reiches) angezettelt
wurden. Ein auffällig offenes Wort angesichts der in der Türkei allgemein
vorherrschenden Ignoranz gegenüber diesem Thema.
Erinnern wir uns zunächst:
Während des Ersten Weltkriege, an dem die Türkei auf
Seiten Österreich-Ungarns und Deutschlands teilnahm, definierte die
“Reform-Regierung” der sog. “jungtürkischen Bewegung” alle christlichen
Minderheiten als Staatsfeinde, die Russischen und Britischen Truppen
Unterstützung leisten würden. Im Anschluss wurden dann die Armenier, Aramäer
und Chaldäer aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben, in Gewalt- und Todesmärsche
durch das Landesinnere getrieben und somit dezimiert. Schätzungen gehen heute
von sehr unterschiedlichen Opferzahlen aus, aber von 800.000 – 1 Mio Opfern
muss dabei leider in jedem Falle ausgegangen werden. Durch die Beobachtungen
von deutschen Diplomaten und Offizieren sind viele dieser Maßnahmen soz.
“aktenkundig” geworden. Im “Johannes-Lepsius-Zentrum” in Potsdam wird das
Gedenken an diesen Völkermord seit 2011 erforscht und dokumentiert. Dieser
Völkermord an den Armeniern wird bis heute von der Türkei entweder geleugnet
oder als “kriegswichtige Maßnahme” schöngeredet und gerechtfertigt. Jedoch
weigern sich maßgebliche, westliche Länder noch immer, die Türkei zu einer
sachlichen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, ähnlich der, die wir in
Deutschland nach dem Holocaust begonnen haben, zu drängen. Die USA bezeichnen
bis heute die Armenier-Vernichtung nicht als Völkermord.
Jetzt aber lassen wir mal den Bürgermeister von
Diyarbakir, Osman (ausgerechnet ! “Osmanisches Reich”) Baydemir zu Wort kommen.
Am Rande eines Diskussionsforums in seiner Stadt, welches sich mit den
türkisch-armenischen Beziehungen befasste, sagte er gegenüber Journalisten am
25. September 2012 folgendes:
Ein Armenier, ein Aramäer und ein Chaldäer, dessen
Groß- oder Urgroßvater in Diyarbakir geboren wurde, hat ebenso ein Recht in
Diyarbakir zu leben, wie ich es habe. Das sage ich als ein in Diyarbakir
geborener Kurde. Ich würde gerne alle ethnischen Gruppen, deren Vorfahren in
Diyarbakir lebten, wieder in die Stadt einladen. Kommt zurück in eure Stadt !
Auch zur Vergangenheit, in der auch kurdische Banden
an den Gewalttaten gegen die Christen beteiligt waren, sagt er interessante
Dinge. Er betont, dass alle ethnischen Gruppen gemeinsam die Stadtmauern
errichtet hätten und somit ein Recht besäßen, in Diyarbakir zu leben.
In meinem Gewissen verurteile ich die Grausamkeit von
1915. Wir lehnen dieses Vermächtnis unserer Großväter ab, die an diesem
Massaker teilnahmen, wir lehnen es ab, Teil von dem zu sein, was sie vorlebten
und wir gedenken derer unserer Vorfahren, die sich gegen dieses Massaker und
die Grausamkeit stellten.
Nach Statistiken aus dem Osmanischen Reich lebten vor
der Vertreibung mehr als 56.000 Armenier in Diyarbakir. Zur Verdrängungs- und
Leugnungsmentalität sagte Osman Baydemir dies:
Die Verbrechen, die einige unserer Vorfahren begangen
haben, zu leugnen, wäre, als würde man ein Teil davon. Wir müssen zunächst
einmal die Leiden der Menschen anerkennen, bevor wir damit beginnen können, die
Wunden zu heilen.
Bemerkenswerte Sätze, die in einem Land gesprochen
wurden, das seinen National- und seit der Machtübernahme von Erdogan auch
seinen Religionskult aufs Absurdeste überhöht hat. Man wünschte sich, mehr
derartige Stimmen zu hören.
BITTE BETEN SIE WEITERHIN FÜR DIE BEINAHE VERSCHWUNDENE
CHRISTLICHE MINDERHEIT DER TÜRKEI. MÖGE SIE MEHR AKTIVE UNTERSTÜTZUNG IN DER
BEVÖLKERUNG FINDEN.
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